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Die Schwestern von Sherwood: Roman

Die Schwestern von Sherwood: Roman

Titel: Die Schwestern von Sherwood: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Winter
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Erfahrungen aus seinen unzähligen Affären halfen ihm. Einen Moment lang gelang es ihm, seine Gedanken zum Stillstand zu bringen. Er bemühte sich, so rücksichtsvoll wie möglich zu Cathleen zu sein, ihr etwas Zärtlichkeit vorzuspielen, doch er empfand nichts, während er den Akt vollzog, mit dem ihre Hochzeit vor Gott und dem Gesetz als besiegelt galt. Es war das Aufeinandertreffen zweier nackter Körper, für einen kurzen Augenblick miteinander vereint, und er war froh, als es vorbei war.
    Cathleens gerötete Wangen und die Unschuld in ihrem Blick, in dem die unausgesprochene Frage lag, ob sie ihm gefallen hatte, verursachten ihm danach Übelkeit. Wäre sie eine seiner Affären gewesen, er hätte sich angezogen und wäre eilig geflohen. Doch ein letzter Rest menschlichen Anstands hielt ihn zurück. Er gab ihr einen Kuss und zwang sich, neben ihr im Bett liegen zu bleiben, bis sie eingeschlafen war. Ermüdet von den Aufregungen des Tages und dem vielen Wein und Champagner, hörte er zu seiner Erleichterung bald ihre tiefen Atemzüge neben sich.
    Er blickte erneut nach draußen und verspürte mit einem Mal eine tiefe Sehnsucht, in die Dunkelheit des Moores zu fliehen. Wie hatte er jemals glauben können, er würde fähig sein, Amalia zu vergessen oder hinter sich zu lassen?
    Er hätte Cathleen nie heiraten dürfen. Die Nacht mit ihr hatte die Erinnerungen an Amalia aufs Schmerzhafteste zurückkehren lassen und ihm erst wirklich deutlich gemacht, wie anders alles mit ihr gewesen war. Als wäre eine Wunde in ihm aufgerissen worden, die nun stärker blutete als jemals zuvor. Von welch tiefen Gefühlen und ungeheurer Leidenschaft war jeder Kuss und jede Berührung zwischen Amalia und ihm erfüllt gewesen! Er hatte sie geliebt und würde nie eine andere so lieben wie sie.
    Er wandte den Kopf zum Bett, wo Cathleen sich unruhig im Schlaf bewegte, und verspürte eine unerträgliche Last. In doppelter Weise hatte er sich mit dieser Heirat schuldig gemacht – nicht nur, weil er seine Gefühle zu Amalia verriet, sondern auch, weil er Cathleen damit zu einem Leben an seiner Seite verdammt hatte.
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    St. Mary’s Home, Winter 1895
    S o abgeschieden das Leben im Heim war, zumindest die Zeitungen und die Journale der Bibliothek ließen die Bewohner von St. Mary’s Home ein wenig Anteil an den politischen und gesellschaftlichen Geschehnissen nehmen. Die Times , die für gewöhnlich mit zwei, manchmal auch drei Tagen Verspätung bei ihnen eintraf, war eine begehrte Lektüre. Wenn Amalia die Zeitung endlich in die Hände bekam, waren meistens zwei weitere Tage vergangen, und das Papier bereits zerfleddert, weil es durch so viele Finger gewandert war. Sie las trotzdem jede einzelne Zeile der Zeitung – von den politischen Seiten bis hin zu den kulturellen und gesellschaftlichen Ereignissen. Begebenheiten wie die, dass Queen Victoria mit diesem Jahr der am längsten regierende englische Monarch auf dem britischen Thron war, oder in Amerika ein gewisser Henry Ford einen Wagen gebaut hatte, der sich ohne Pferde mit eigener Antriebskraft vorwärtsbewegen konnte, waren Nachrichten, die Amalias Leben so fern waren, dass sie ihr kaum weniger unwirklich vorkamen als die Handlung in irgendeinem Roman. Dennoch waren sie für sie von ungeheurer Bedeutung, denn sie erlaubten ihr, einen Blick aus ihrem Gefängnis in die Welt draußen zu werfen.
    Selbst unbedeutende Meldungen studierte sie, und auch Geburts- oder Todesanzeigen überging sie nicht. So kam es, dass ihre Augen an einem Nachmittag auch an der Bekanntgabe einer Hochzeit hängen blieben. Sie erstarrte.
    Die Vermählung von Lord Edward Hampton … und Cathleen Sherwood.
    Ihre Hand, die die Zeitung hielt, begann zu zittern, und die Buchstaben verschwammen vor ihren Augen. Sie hatten geheiratet? Nein! Das konnte nicht sein. Doch dort stand es schwarz auf weiß. Sie fühlte sich, als würde ihr jemand einen Dolch mitten ins Herz stoßen, während gleichzeitig ein Sturm schrecklicher Gedanken durch ihren Kopf tobte. Hatte sie deshalb noch immer nichts von Edward gehört? War es alles nur ein abgekartetes Spiel gewesen, in dem jeder außer ihr Bescheid wusste und sie einfach wie ein unliebsamer Gegenstand aus dem Weg geräumt worden war? Warum sonst hätte Edward Cathleen doch zur Frau nehmen sollen? Tiefe Bitterkeit ergriff sie. Wie hatte sie jemals glauben können, eine gemeinsame Zukunft mit ihm haben zu können? Es war ihr, als würde tief in ihr etwas zerbrechen. Seitdem ihre

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