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Die Schwestern von Sherwood: Roman

Die Schwestern von Sherwood: Roman

Titel: Die Schwestern von Sherwood: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Winter
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Schachspiels aus Marmor hatte er entdeckt.
    Unglücklicherweise schien Amalia zu spüren, dass sie ihm gegenüber vorsichtig sein musste. Mehr als einmal hatte Mr Beans versucht, ihr allein aufzulauern, doch es war ihm bisher nicht gelungen. Sie achtete darauf, immer in Begleitung zu sein, und er wurde darüber hinaus nicht das Gefühl los, dass dieser Gordon, der unter den Tauben die Fäden zog, einen wachsamen Blick auf sie hatte.
    Mr Beans’ Augen verfinsterten sich unwillkürlich. Es gefiel ihm nicht, dass Amalia Zeit mit dieser Missgeburt verbrachte. Seine Finger ertasteten in der Jackentasche die zusammengefaltete Zeitungsseite. Ein dunkles Lächeln glitt über sein Gesicht, denn er spürte, dass er mit dieser Vermählungsanzeige etwas Entscheidendes über Amalia in die Hand bekommen hatte.
    110
     
    D em Schock war die Apathie gefolgt. Alles erschien Amalia mit einem Mal sinnlos und ohne Bedeutung. Sie lebte, ja – sie aß, sie trank, sie saß und sie lief – doch sie empfand nichts mehr dabei. Ein Teil von ihr hatte sich tief in sich selbst zurückgezogen, und ihr übriges Ich fühlte sich an wie tot.
    Was ist mit dir? , erkundigte sich Gordon besorgt.
    Nichts , erwiderte sie und wandte sich von ihm ab. Sein Blick folgte ihr besorgt, doch es war ihr gleichgültig. Sie dachte auch nicht mehr an Flucht. Wozu auch? Wohin hätte sie jetzt noch gehen sollen? Nach und nach wurde ihr klar, dass sie alles in ihrem Leben verloren hatte.
    Teilnahmslos ließ sie den Alltag über sich ergehen, selbst Mr Beans Zudringlichkeiten.
    »Bist du endlich zur Vernunft gekommen, ja?«, sagte der Lehrer in einer der Unterrichtsstunden zu ihr. Er hatte ihr Kinn losgelassen und strich ihr über die Oberschenkel, doch dann hielt er plötzlich inne und musterte sie mit einem lauernden Ausdruck in seinen kleinen Knopfaugen.
    »Deine Schwester hat geheiratet und dich nicht einmal eingeladen. Hat dich das sehr getroffen, Amalia? Weißt du, ich habe mich gefragt, ob du deiner Familie wirklich einfach unwichtig geworden bist oder ob du vielleicht etwas angestellt hast?« Während Mr Beans sprach, wanderte seine Hand langsam weiter nach oben. Obwohl Amalia sich fragte, woher er von der Vermählung wusste, reagierte sie nicht, und schließlich ließ er sie wieder los. Zumindest ein Gutes hatte der betäubende Schmerz, der sie beherrschte. Mr Beans’ Versuche, sie zu beleidigen und zu demütigen, machten ihr nichts mehr aus. Ihre Apathie hatte sie gleichzeitig von ihrer Angst vor ihm befreit. Amalia erkannte plötzlich, welch armselige und bedauernswerte Gestalt er im Grunde war.
    Sie hörte deshalb auch auf, darauf zu achten, ob sie allein im Flur war und er ihr folgte. Gordon warnte sie. Sieh dich vor! Doch sie zuckte die Achseln.
    Eines Nachmittags kam es schließlich, wie es kommen musste.
    In einer dunklen Ecke des Flurs stand Mr Beans unvermittelt vor ihr. Der Ausdruck in seinen Augen ließ keinen Zweifel an seinen Absichten. Amalias erster Fehler war es, dass sie stehen blieb und nicht wegrannte, ihr zweiter, dass sie nicht sofort schrie, als er sie packte. Er war überraschend kräftig für seine kleine fleischige Gestalt, und eh sie sichs versah, spürte sie seine feuchten Lippen auf ihrem Mund und seine Hände, die an ihre Brust griffen. Sie war wie gelähmt vor Entsetzen und für einen Moment wie unter Schock. Doch dann meldete sich aus den Tiefen ihres lethargischen Bewusstseins, das alles nur noch über sich ergehen ließ, plötzlich ein letzter Rest von Überlebenswillen. Als hätte ihr jemand einen Eimer kaltes Wassers über den Kopf geschüttet.
    Aber Mr Beans hatte die kurze Zeit, in der sie wie erstarrt war, zu seinem Vorteil genutzt und sie weiter gegen die Wand in eine Nische gedrängt. Verzweifelt versuchte sie, sich zu befreien. Seine Hand riss ihren Rock hoch, fasste an ihren nackten Oberschenkel. Sie versuchte zu schreien, doch er presste ihr die Hand auf den Mund und stemmte sich mit seinem Gewicht gegen sie. Sie spürte voller Panik, wie sich seine Finger zwischen ihre Beine drängten. Ein erstickter Schrei entfuhr ihrer Kehle, als plötzlich eine Gestalt hinter Mr Beans auftauchte und ihn von ihr fortriss. Außer Atem drehte der Lehrer sich herum. Gordon stand vor ihnen und schrie Mr Beans an.
    Ein dünner Speichelfaden rann aus dem Mund des Lehrers, und er wischte ihn mit der Hand weg.
    Amalia zitterte. Sie sah, dass Mr Beans etwas sagte, doch er hatte den Kopf so abgewandt, dass sie es nicht von seinen Lippen

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