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Die Seele des Ozeans

Die Seele des Ozeans

Titel: Die Seele des Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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etwas tun! Ich muss es endlich beenden!
    Aber sie blieb still liegen, als wäre sie ein Fels, der sich nicht rühren konnte. Rembrandt schnurrte gleichmütig. Fae grub ihre Finger in sein Fell und wünschte sich, sie könnten beide endlich gehen. Zusammen. Sie wusste, es würde weitergehen, auf irgendeine Weise, und es war allemal besser, als hierzubleiben.
    Fern hörte Fae, wie Ukulele begann, aus dem Buch vorzulesen. Sie verstand die Geschichte kaum, hörte nur etwas von einer Meerjungfrau, die einem Fischer eine magische Kappe schenkte. Von Kindern war die Rede, die die Nixe ihm gebar. Von einer Heirat und vielen glücklichen Jahren. Sonderbar, dass sie nicht viel hörte, aber immer genug Worte, um zu begreifen, wie die Geschichte aufhören würde.
    Als Ukuleles Stimme verstummte, sagte sie laut: „Lies sie zu Ende.“
    „Ich weiß nicht.“
    „Tu es!“
    Der Hawaiianer gehorchte.
    Die Nixe verschwand an jenem Abend, an dem der Fischer dachte, vollkommen glücklich zu sein. Alles, was sie ihm ließ, waren die drei Kinder, die sie ihm geschenkt hatte. Ein Mädchen und zwei Jungen. Zwischen ihren Fingern und Zehen trugen sie Schwimmhäute, ihr Haar schimmerte blau, und es stand außer Frage, dass sie eines Tages ihrer Mutter folgen würden.
    „Abend für Abend“, erzählte Ukulele leise das Ende, „saß der Fischer am Meer und spielte auf seiner Flöte. Er hoffte, dass das Lied, das die Nixe zu ihm gelockt hatte, seinen Zauber ein zweites Mal entfalten würde. Doch er hoffte vergeblich. Das Meer blieb ruhig, und ihr geliebtes Gesicht tauchte nie wieder daraus auf.“
    Ukulele legte das Buch weg, erhob sich und ging wortlos aus dem Wohnzimmer. Henry blieb in seinem Sessel sitzen. Sie hörte, wie er Schluck für Schluck sein Weinglas leer trank. Vielleicht war es auch kein Wein, sondern etwas Stärkeres. Wieder griff der Schmerz nach ihrem Schädel. Fae spürte ihre Sinne schwinden. Es war, als versinke sie in einem Sumpf. Er erstickte sie langsam, umklammerte sie, saugte an ihr, bis sie nicht mehr atmen konnte. Das Herz raste in ihrer Brust. Sie hörte sich japsen, legte die Hände um ihren Hals und spürte nicht einmal mehr ihre eigene Berührung. Grelle Lichtblitze tanzten vor ihren zusammengepressten Lidern.
    Luft! Sie brauchte Luft!
    Lass es zu, raunte eine Stimme. Das wolltest du doch. Es ist so weit.
    Du stirbst.
    Aber die Instinkte ließen es nicht zu. Überlebe!, befahlen sie ihr wieder und wieder. Überlebe! Kämpfe!
    Stimmen schrien durcheinander. Jemand rüttelte sie, hob sie hoch, klopfte grob auf ihren Rücken. Sie fiel erneut, rang verzweifelt nach Luft und spürte ihre Lunge kollabieren. Der Schmerz wurde unerträglich. Niemand sollte so etwas aushalten müssen. Ihr Brustkorb loderte in weiß glühenden Flammen, und dann hörte sie von fern diese Stimme.
    Unendlich sanft. Unvorstellbar schön.
    Aber sie sagte nicht das, was sie damals zu ihr gesagt hatte.
    „Ich kann ihr helfen. Lasst mich zu ihr.“
    „Verschwinde!“, brüllte Henry. „Siehst du nicht, dass sie stirbt! Du hast sie im Stich gelassen! Es ist vorbei.“
    „Nein.“ Die Geräusche eines Handgemenges erklangen. Ukulele zischte etwas, ein Gegenstand fiel klappernd herunter. Rembrandt fauchte.
    „Bitte!“, flehte die Stimme. „Sonst ist es zu spät.“
    Fae glitt in die Dunkelheit. Sie hörte nichts mehr. Nur noch pochende, hässliche Stille. Aber sie starb nicht. Nicht wirklich. Hilflos schwebte sie in einer Schwärze, die nichts Tröstendes an sich hatte. Ihr Geist nahm die verstreichende Zeit wahr, ihr Körper spürte Schmerzen und Einsamkeit. Nein, das war nicht der Tod. Aber was war es dann? Lag sie im Koma? Würde sie hier für immer festhängen?
    Panik erfasste sie. Fae öffnete den Mund und schrie. Sie spürte das Brennen in ihrer Kehle und wusste, dass sie aus Leibeskräften brüllte, aber die Stille saugte jeden Laut in sich auf. Nichts war zu hören. Ihre Glieder steckten in zähem, unsichtbarem Schlamm. Nur unter Mühen war es überhaupt möglich, sich zu bewegen. Die Finsternis um sie herum war so dicht, dass sie selbst mit weit aufgerissenen Augen nichts sah. Absolut nichts. Die Schwärze war mehr als schwarz. Sie war die absolute und endgültige Abwesenheit jeglichen Lichts.
    „Fae … Fae … hör mir zu.“
    Endlich. Eine Stimme in der Stille. Wunderschön.
    Ganz fern, kaum hörbar. Aber sie hatte ein Ziel.
    „Wach auf! Komm zurück.“
    Sie kämpfte, wand und drehte sich, schrie stumm und bäumte sich auf.

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