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Die Seele des Ozeans

Die Seele des Ozeans

Titel: Die Seele des Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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Existenz.
    Unsinn! Atme endlich!
    Obwohl Kjell sich nicht an eine Bewegung erinnern konnte, durchbrach er plötzlich die Wasseroberfläche. Seine ausgehungerten Lungen füllten sich unter Schmerzen mit Luft. Er hustete, würgte und spuckte. In mehreren Schwallen kam Salzwasser aus seiner Kehle und brannte in seinem Mund.
    Salzwasser? Wie kam das Zeug in seine Lungen? Kjell fand keine Gelegenheit, darüber nachzudenken. Der Husten wurde zu einem qualvollen Krampf. Er keuchte, bis ihm schwarz vor Augen wurde und sein Brustkorb in Flammen zu stehen schien. Dann flaute der Schmerz so plötzlich ab, wie er gekommen war – stattdessen brannte die Haut über seinen Rippen. Auf beiden Seiten. Zuerst erträglich, bis ihn ein atemberaubendes Reißen durchfuhr. Panisch schnappte er nach Luft. Beinahe fühlte es sich an, als würde …
    „Kjell!“, rief es vom Strand her.
    Mühsam hielt er sich über Wasser, während er über seine Haut tastete. Nichts. Keine klaffenden Schnitte, keine Kiemen. Das Reißen hörte auf und wurde zu einem dumpfen Ziehen.
    Etwa fünfzig Meter vor ihm stand Fae am Strand und winkte ihm zu.
    „Was ist los? Geht es dir nicht gut?“
    Er versuchte zu sprechen. Zwecklos. Heraus kam nur krächzendes Husten. Mit letzter Kraft brachte er ein paar Schwimmzüge zustande, schaffte es irgendwie, an den Strand zu gelangen, und ging vor seiner Mutter in die Knie.
    Er spürte, wie sie ihm auf den Rücken klopfte, während er sich die Seele aus dem Leib hustete. Noch ein Wasserschwall kam aus seinem Mund, dann noch einer. Und ein dritter. Das Zeug brannte wie flüssige Feuerquallen. Seine Lungen waren voller Salzwasser gewesen, aber das war unmöglich.
    „Habe mich …“, würgte er, „verschluckt.“
    „Das glaube ich nicht.“
    Als die Krämpfe nachließen, blinzelte er zu seiner Mutter auf. Was war das in ihrem Gesicht? Verblüffung? Sorge? Angst? Verflucht, Fae verwirrte ihn am laufenden Band. Japsend kniete er im Sand und fuhr sich durch die tropfenden Haare. Wie jämmerlich. Für einen kurzen Moment hatte er tatsächlich gedacht …
    Grundgütiger!
    „Du hast Wasser geatmet“, sagte sie feierlich.
    „Bitte was? Wasser geatmet? Ja klar.“
    „Ich habe dich beobachtet.“ Ihre kleine, faltige Hand fing seine ein und hielt sie fest. Faes Haut war warm. Beinahe heiß. Und als er aufblickte, sah er, dass sie weinte.
    „Mum, was ist los? Was hast du?“
    „Was glaubst du, wie lange du unter Wasser warst?“
    „Keine Ahnung.“ Das Brennen in seinem Hals ließ ihn erneut husten. Noch einmal drückte sich ein Schwall salzigen Wassers seine Kehle hinauf. Hörte das denn nie auf? „Zwei Minuten. Oder drei.“
    „Nein. Glaube mir oder nicht, es waren ganze dreiundzwanzig Minuten.“ Sie zeigte ihm ihre alte Stoppuhr, die fast auseinanderfiel. „Ich schwöre es.“
    „Das Ding ist schon seit dreißig Jahren anfällig für Fehler.“
    „Warum? Weil sie alt ist? Das Schätzchen hat mich mein ganzes Leben begleitet.“
    „Dreiundzwanzig Minuten sind unmöglich.“
    „Du konntest schon immer sehr lange die Luft anhalten.“
    „Mein Rekord lag bei neun Minuten und elf Sekunden.“
    „Das ist nicht allzu weit von dreiundzwanzig Minuten entfernt.“
    Kjell stand auf, nahm seinen Morgenmantel und zog ihn über. Sand kratzte auf seiner nassen Haut, sein Hals fühlte sich an wie geschreddert.
    „Komm schon, Mum. Ich war höchstens eine Minute da unten.“
    Sie schüttelte stur den Kopf. „Zeit bedeutet unter Wasser etwas anderes. Du vergisst, dass sie überhaupt existiert. Eine gefühlte Minute kann in Wirklichkeit eine Stunde sein oder ein Tag.“
    Er starrte seine Mutter an. Fae starrte zurück. Ihr verwirrender Blick machte ihn langsam wütend, weil er nichts darin las. „Mum, was ist los? Du machst mir Angst.“
    „Vor mir musst du keine Angst haben.“ Sie senkte den Blick und schüttelte den Kopf. Ihre Verzweiflung war schier greifbar. „Nein, nicht vor mir. Es ist gut, dass du noch Zeit hast. Ich muss dir viel zeigen und erzählen. Lange habe ich gehofft, dein Erbe würde nie hervorkommen. Es sah ganz danach aus, abgesehen davon, dass du seit geraumer Zeit nicht gealtert bist. Aber ich dachte, das könnte auch an guten Genen liegen. Meine Mutter musste im Alter von fünfunddreißig noch ihren Ausweis zeigen, wenn sie in einen Film ab achtzehn wollte.“
    Kjell kniff ein Auge zusammen. Ihr ging es nicht gut, überhaupt nicht gut. Wenn er in vier Tagen nach Sydney flog, würde er keinen klaren

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