Die Seele des Ozeans
auf zu denken. Lass es einfach. Es geht ihr gut, verdammt. Sie ist nur ein bisschen komisch. Nichts, was du nicht kennst.“
Moment mal, wollte er nicht nach dem Frühstück zu Angus’ Haus hochgehen? Kjell streckte und dehnte seine schmerzenden Glieder. Nur keine Hektik. Ihm blieb immer noch der Nachmittag oder der Abend. Im Dunkeln und beim Schein einer Taschenlampe machte die Hütte sicher ordentlich was her.
Er rutschte noch ein Stück tiefer und blätterte die Seite um. Der nächste Abschnitt drehte sich offenbar um Alexanders Sicht der Dinge. Na dann, auf in die andere Welt!
~ Alexander, September 2009 ~
Gelangweilt tippte er mit dem Bleistift auf die Plastiktafel. Planmäßig hätten sie längst unten sein sollen, aber Henry und Ukulele waren die Geduld in Person und gönnten sich noch ein paar spontane Aufnahmen.
Immer schön locker-flockig, verlangte der Produzent. Jugendlich frisch und humorvoll. So mögen euch die Zuschauer.
In locker-flockig war Henry ein Meister. Während der Hawaiianer ihn filmte, plapperte er munter drauf los und fuchtelte mit seinen Krähenhänden durch die Luft, bis das Schlauchboot hektisch schaukelte.
„Willkommen bei unserem letzten Ausflug in dieser Saison. Schon morgen kehrt das typisch irische Wetter wieder ein, also Regen, Regen und vereinzelter Regen. Abgewechselt von Schauern und Niederschlägen. Deswegen nutzen wir die letzten schönen Stunden für unser Wrack. Dasselbe befindet sich zwischen dreißig und fünfundvierzig Meter unter der Wasseroberfläche. Was bedingt gut für uns ist, denn das Schiff liegt genau an der Grenze dessen, was man noch ohne übermäßigen Aufwand betauchen kann. Und, was auch gut ist: Es steht fast aufrecht auf dem Kiel. Nun zu unserer Ausrüstung.“ Er fuhr sich mit einem lasziven Grinsen über die Brust. „Das hier ist ein anständiger Trockentauchanzug, reißfestes Trilaminat. Bei so kaltem Wasser kann man die klassischen Neopren-Nassanzüge komplett vergessen, zumal die mit zunehmender Tiefe ihre Isolationswirkung verlieren. Da hilft es auch nicht, dass der September sich in diesem Jahr als Juli verkleidet und uns nochmal ein paar Tage richtig schönes Wetter gönnt. Trotzdem haben wir da unten gerade mal vier, vielleicht fünf Grad. Es ist also wirklich richtig kalt. Kommunizieren werden wir über Handzeichen und diese Plastiktafel, auf die wir mit einem gewöhnlichen Bleistift kritzeln. Klingt komisch, funktioniert aber einwandfrei. Wir planen, in das Wrack einzudringen und hoffen, von dort einige spektakuläre Aufnahmen mitzubringen. Für alle Hobbytaucher da draußen: Ein Penetrationstauchgang bedarf einer entsprechenden Ausbildung und muss sorgfältig geplant werden, sonst kann der erste auch der letzte sein. Also bitte nicht nachmachen.“
Ukuleles mächtiger Leib wogte wie die Dünung, während er vor sich hin grunzte. Henry zwinkerte in die Kamera. „Unser Freund amüsiert sich anscheinend gerade über den ersten Teil im Wort Penetrationstauchgang. Habt ihr auch so eine schmutzige Fantasie wie er? Nein? Also noch schmutziger? An dieser Stelle muss ich euch enttäuschen, es wird auf einem Penetrationstauchgang rein gar nichts Erotisches zu sehen geben. Es sei denn, eine Meerjungfrau mit silbernen Haaren und türkisfarbenen Augen schwimmt vorbei, nackt, wie Gott sie erscha … Autsch!“
Alexander trat Henry vor das Schienbein. „Halt die Klappe!“
„Ihr müsst entschuldigen“, knirschte sein Freund, „mein nichtsnutziger Kollege scheint in Bezug auf halbe Fische neuerdings etwas empfindlich zu sein. Was ist los? Hattest du letzthin ein Date mit einem Fischstäbchen?“
Alexander zog eine Grimasse und vollführte die Halsabschneider-Geste.
„Okay, lassen wir das. Zurück zu unserer Mission, bevor ich mir einen Magenschwinger einfange. In den Flaschen, an die zwei komplett unabhängige Atemregler angeschlossen sind, befindet sich Nitrox Ean 30, das bedeutet, es handelt sich um Luft mit 30 % statt 21 % Sauerstoff. Ist zwar für die geplante Tiefe grenzwertig, verdoppelt aber unsere Nullzeit von acht auf sechzehn Minuten, und die ist uns heilig. Wenn wir in die Dekopflicht kommen, müssen wir beim Aufstieg unsere Reserven angreifen, und das gilt es zumindest in der Planung zu vermeiden. Dekopflicht hat im Übrigen nichts mit dem Zwang zum Dekorieren zu tun, sondern vielmehr mit Dekompression. Jeder wird schon einmal von der Taucherkrankheit gehört haben. Wenn nicht, schaut bei Google nach. Wir packen uns je eine
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