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Die Seele des Ozeans

Die Seele des Ozeans

Titel: Die Seele des Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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Schiffes.
    Klaustrophobische Schauer liefen ihm über das Rückgrat. Er spürte die Tiefe, die Enge, die Last des Wassers, die Ferne der Oberfläche. Ohne die Lampen wäre es hier drin stockfinster. Ein Grab. Ein riesiger, grausiger Sarg aus Stahl.
    Verfaulende Kisten, Stühle und ein zusammengebrochener Tisch lagen kreuz und quer durcheinander. Durch das Gewirr der Holzbeine ringelte sich ein großer Krake und ließ sein Graubraun in wütendes Dunkelrot übergehen, als der Scheinwerfer der Kamera auf ihn fiel. Vorsichtig schwamm Henry näher. Scheinbar gleichmütig glitschte das Tier über die Möbelstücke, doch was es tatsächlich von den Störenfrieden dachte, verriet seine mürrische Farbe.
    Als der Krake auf Nimmerwiedersehen unter einem Schrank verschwand, der eingekeilt zwischen mehreren Kisten lag, setzte Henry seinen Weg wieder fort. Noch ein Stück in Richtung Bug, dann kam etwa mittschiffs die Treppe in die Maschinenräume. Alexander folgte seinem Freund nur widerwillig. Wo war seine übliche Lust am Tauchen? Warum wünschte er sich zum ersten Mal in seiner Laufbahn zurück auf das Schiff? Es musste an diesem verrottendem Wrack liegen. Es jagte ihm Angst ein, es frustrierte und verhöhnte ihn. Überall nur Tod. Lieber wäre er an einem Riff getaucht. In den Tangwäldern oder zwischen den Felsen nahe der Küste. Egal wo, Hauptsache, es blühte dort vor Leben. Aber hier gab es nur Schlamm, Rost und Fäulnis. Behutsam drangen sie weiter vor. Die Luke vor ihnen erschien zu eng, doch Henry ließ sich davon nicht stören und glitt beharrlich darauf zu. Im Augenwinkel sah Alexander etwas Helles schimmern. Er richtete seine Lampe darauf … und zuckte erschrocken zurück. Ein Totenschädel im Schlick. Verflucht noch eins!
    Leere Augenhöhlen gafften ihn an. Die Kiefer mit den braunen Zähnen schienen zu einem stummen, vorwurfsvollen Schrei aufgerissen. Hatte man die Leichen nicht schon vor langer Zeit geborgen? Offenbar nicht alle. Etwas hatte ein kreisrundes Loch in die Stirn des Toten gerissen. Wohl eine Kugel. Möglicherweise waren die Menschen beim Untergang des Schiffes in Panik geraten und hatten sich gegenseitig niedergeschossen. Ein gnädiger Tod, verglichen mit qualvollem Ertrinken.
    Zwei Schläge gegen die Schulter würgten sein Kopfkino ab. Er sah Henry, der seine Kamera ruppig herumwuchtete, um den Schädel zu filmen.
    Langsam! , bedeutete Alexander ihm mit Gesten. Schön ruhig bleiben.
    Doch es kam, wie es kommen musste. Mit seiner ausladenden Technik blieb Henry irgendwo hängen. Anstatt stillzuhalten und darauf zu warten, dass Alexander ihn befreite, begann dieser Idiot zu zappeln und zu zerren. Was zum Geier war los mit diesem Kerl? Graue Wolken wirbelten auf, verdichteten sich in Sekundenschnelle.
    Nicht gut!
    Alexander spürte einen neuerlichen Schlag, diesmal gegen sein Bein. Henrys Flossen wirbelten mehr und mehr Sediment auf.
    Halt still!
    Er bedeutete es ihm mit Gesten und schrieb es in großen, krakeligen Buchstaben auf seine Plastiktafel. Doch Henry war für Vernunft nicht zugänglich. Geriet er etwa gerade in Panik? Offenbar, denn er vergaß alles, was sie je gelernt hatten.
    Du bringst uns um, kritzelte Alexander hastig auf die Tafel.
    Henry schüttelte den Kopf. Hinter der Maske sah Alexander panisch aufgerissene Augen. Blasen sprudelten an die Decke, immer mehr Sediment wirbelte auf und umringte sie wie eine dicke, undurchdringliche Wolke.
    Zu spät! Es wurde dunkel, der aufgewirbelte Schlick verschlang das Licht der Lampen. Seine Sicht reichte gerade noch bis zum Glas seiner Maske. Henry griff nach seinen Arm und zerrte daran.
    Ruhig atmen, beschwor sich Alexander. Du kennst das alles aus der Ausbildung. Bleib um Himmels willen ruhig, du hast das Orientierungsseil.
    Er hielt seinen Finimeter direkt vor die Maske und leuchtete mit der Lampe darauf. Verflucht, nur noch 110 bar? Wo war die verdammte Luft hin? Auf dem Schlauchboot waren es noch glatte 205 bar gewesen. Seine Gedanken arbeiteten fieberhaft.
    Volle Flaschen … mindestens dreimal kontrolliert … wir sind im Kaltwasser. Das killt gleich mal zwanzig Prozent, weil sich das Gas abkühlt. Gut, dann stimmt die Kalkulation wieder. Also massig Zeit. Komm runter! Ruhig atmen! Ruhig atmen! Taste dich einfach voran. Der Grundriss von dem Pott ist ziemlich übersichtlich. Alles kein Problem. Immer schön langsam.
    Die Lichtkegel der Lampen wurden von dem aufgewirbelten Schlick verschlungen. Lediglich ein diffuser Schimmer kämpfte

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