Die Seele des Ozeans
betrachtete, wurde sie umhüllt von einem Kokon aus schwereloser Magie.
„Verrate mir dein Geheimnis“, flüsterte sie. „Ich schwöre, dass ich es mit ins Grab nehme.“
Trunken und still legte sich die Nacht um sie. Fae dämmerte so gedankenverloren vor sich hin, dass ihr Stockbrot verbrannt war, ehe ihr wieder einfiel, dass es existierte. Sie aß es trotzdem. Der wilde, rauchige Geschmack passte zu dem, was sie fühlte. Alles war intensiviert, alles war von einer klaren Schärfe. Selbst die Dunkelheit.
~ Kjell ~
Er konnte ihren Ruf nicht kappen. Ihr Sehnen floss durch seine Adern, beherrschte seinen Geist und lähmte seinen Körper, sobald er sich entfernen und auf den Horizont zuschwimmen wollte. Eine Weile hatte er dem Drang, zu ihr zurückzukehren, widerstehen können. Weit war er dennoch nicht gekommen. Nicht einmal bis zu der Stelle, wo der Meeresboden in die Tiefe abbrach. Wenn er es nur bis dorthin geschafft hätte.
Aber der Geruch und Geschmack der hohen See hätten Fae aus seinen Gedanken getilgt. Aber er wollte sie gar nicht tilgen. Beim Salz der See, er schaffte es nicht, diese Frau hinter sich zu lassen. Kjell erinnerte sich an die Worte, die er in einem Buch gelesen hatte.
Die See fließt den Weg der ewigen Wiederkehr.
Welche Botschaft lag hinter dem Ruf dieses Menschen, dem er nicht widerstehen konnte? War sie sein Schicksal? Wartete eine Aufgabe auf ihn?
Kjell lag rücklings im flachen Wasser über einer Sandbank und ließ sich vom Seegras kitzeln. Der Mond goss sein Licht in die Wellen, machte ihn schläfrig und unruhig zugleich. Fae hatte unwissentlich ihrem Bruder und seinem Freund das Leben gerettet, denn nur wegen ihr war er über Nacht in dem gesunkenen Schiff geblieben. Vorgeblich, um dort auszuschlafen und Kräfte für die Reise zu sammeln, geschützt vor den hungrigen Geistern, die Orte des Todes mieden. Aber wenn er ehrlich zu sich selbst war, hatte er die Nacht im Wrack verbracht, weil er sich nicht losreißen konnte.
Kjell streckte beide Arme aus und strich mit den Handflächen über die Spitzen der Seegrasstängel. Zarte Leuchtpunkte auf seiner aufgefächerten Fluke glitzerten im Mondlicht. Dieses Weiß und Silber war viel zu auffällig, verriet ihn selbst in der Finsternis eines Wracks. Er war vorsichtig gewesen, aber war das genug gewesen? Es war gefährlich, die Frau aufzusuchen. Es war dumm. Doch innerlich schrie er danach. Warum?
Still lag er da und lauschte. Der urtümliche, hungrige Ruf des Wesens war verhallt. Alles schien friedlich, der Wind pflügte durch das Meer und erzählte seine einschläfernden Geschichten.
Wenn er zu der Frau ging, musste er die Reise in das Eis des Nordens nicht lange aufschieben. Ihr Tod stand unmittelbar bevor, vielleicht war es seine Aufgabe, sie beim Sterben zu begleiten. Ihre Seele war mit dem Meer verbunden. Wenn sie keine Ruhe fand, würde die Tiefe sie in sich aufnehmen und in eine unglückliche Wanderin verwandeln. Ob es seine Aufgabe war, das zu verhindern? Die Leuchtwesen hatten ihn ausgewählt und zu einem bestimmten Zweck erschaffen. Dessen war er sich sicher, und sein Gefühl sagte ihm, dass er diesen Sinn bei Fae finden würde.
Kjell ließ sich mit Hilfe langsamer Flukenschläge über die Sandbank gleiten. Sanft strich das Seegras über die Haut seines Rückens und erinnerte an die Berührungen der Frau. Nesseln brannten in seinen Eingeweiden, als er daran dachte, wie sie mit diesem weichen, weißen Ding über seine Hüfte gestrichen war. Ihre verlegenen Blicke, ihr ängstlicher Geruch. Und diese Gefühle. Hell, sinnlich und strahlend. Es gab kein Wesen auf dieser Welt, das stärker fühlte und stärker lebte.
Zwei schnelle Bewegungen, eine Drehung … und er glitt über tiefes Wasser hinweg. Die Sandbank verschwand im dunklen Blau. Weg von hier! Ein für alle Mal. Aber als vor ihm der in die Tiefsee abfallende Hang auftauchte, kehrte es zurück. Das lähmende Gefühl, den falschen Weg einzuschlagen. Kjell verharrte dicht unter der Oberfläche und starrte in den gähnenden Schlund hinab. Wenn er nur tief genug tauchte und weit genug schwamm …
Kehr zurück!, verlangte sein Herz. Du willst sie wiedersehen. Es muss sein!
Er drehte sich ein paar Mal unschlüssig hin und her. Vor ihm der Norden, hinter ihm der Süden. Ewiges Eis oder Faes warme Haut. Schließlich tauchte er auf und beobachtete den winzigen Lichtpunkt am Horizont. Der Leuchtturm. Das ferne Land. Mondlicht malte einen wogenden Streifen in Richtung Insel, als
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