Die Seele des Ozeans
„Probier es.“
Kjell zog den Stock aus dem Feuer und betrachtete den Teig eine Weile, ehe er mit spitzen Fingern ein Stück davon abriss. Als er es sich in den Mund schob und langsam darauf herumkaute, wurde Faes ohnehin ungesunder Herzschlag noch schneller. Ganz gleich, wie oft sie ihn ansah, ganz gleich wie oft ihr klar wurde, dass er leibhaftig neben ihr saß, wirklicher wurde er trotz allem nicht.
Er sieht nicht aus wie ein Mensch. Er sieht aus wie … ach, keine Ahnung.
Während der Wind ihr das Haar ins Gesicht wehte, beobachtete sie, wie er mit geschlossenen Augen den Geschmack der Gewürze genoss. Zumindest sah sein Gesicht ganz danach aus, als erfreute er sich daran. Kjell neigte den Kopf, kräuselte die Stirn, blinzelte verwirrt und zupfte ein weiteres Stück Teig ab.
„Es ist gut?“
„Es schmeckt anders als das Brot, das ich kenne. Warum?“
„Es sind die Gewürze. Wo bist du aufgewachsen? Unter Seehunden? Liegt irgendwo da hinten deine Haut, mit der du dich verwandeln kannst? Oder wächst dir unter Wasser ein Fischschwanz? Bist du ein Nudisten-Hippie mit ein paar seltenen Mutationen oder was? Hilf mir mal ein bisschen auf die Sprünge, sonst …“ Sie rang aufgebracht die Arme. „Ach, denk dir einfach eine Drohung deiner Wahl aus.“
Wieder sah er sie auf diese unschuldige, scheue Weise an. Faes Hände verkrampften sich. Nur zu gerne hätte sie ihm ihre Finger um den Hals gelegt und die Wahrheit aus ihm herausgewürgt, aber das war vermutlich die falsche Herangehensweise.
„Du kannst nicht ständig geheimniskrämerisch auftauchen und noch geheimniskrämerischer wieder verschwinden“, fauchte sie entrüstet. „Verstehst du? Ich versuche gerade, mir das alles zu erklären, aber es funktioniert nicht. Und wenn du … ach, verdammt. Was soll’s. Es spielt sowieso keine Rolle mehr. In ein paar Tagen hat sich eh alles erledigt. Gute Nacht und leb wohl.“
Fae warf den leeren Stock in den Sand und zog die Decke fest um ihre Schultern. Ihr ursprünglicher Plan hatte vorgesehen, genau in diesem Augenblick aufzustehen und ins Haus zu verschwinden, aber ihr Hintern schien am Sand festgefroren zu sein. Neben ihr zupfte Kjell fahrig ein Stück Teig ab, schob es sich in den Mund und starrte mit gerunzelter Stirn auf die heranrauschenden Wellen. Wunderbar. Etwas Sinnvolleres fiel ihm offenbar nicht ein.
„Du machst mich wahnsinnig“, knurrte Fae.
„Ich weiß“, antwortete er zu ihrer Überraschung. „Es tut mir leid. Das hätte nicht passieren dürfen.“
„Deine Liste der hilfreichen Erwiderungen wird immer länger. Wenn du nicht hier sein solltest, dann verschwinde. Stürze dich ins Meer, lass mich zutiefst erschüttert zurück und wage es nicht noch einmal, hier aufzutauchen. Sonst nehme ich das nächste Mal kein Stockbrot mit an den Strand, sondern ein Schrotgewehr.“
Kjell stieß einen gequälten Seufzer aus.
„Was machst du noch hier?“ Fae vollführte eine wütende Geste. „Verschwinde schon. Hör auf, mich zu verwirren. Du weißt, was mit mir los ist. Geht es in deinen Kopf, dass ich meine letzten Tage nicht mit Grübeleien verbringen will?“
„Du bist der erste Mensch, dem ich mich zeige.“
„Ja ja, das hatten wir schon mal.“
„Ich sah dich das erste Mal, als du mit deinem Bruder diese Küste entlanggelaufen bist.“ Kjell blickte stur auf das Feuer. „Ich glaube, es war der Tag, nachdem ihr in das Haus gezogen seid.“
„Aha. Seitdem steigst du mir also schon hinterher. Fein. Da warst du ja mal richtig mitteilsam.“
„Ich konnte nicht anders, als dich zu beobachten. Jede Nacht, wenn ihr am Lagerfeuer gesessen habt. Immer, wenn du alleine an den Strand gekommen bist. Es tut mir leid. Ich dürfte längst nicht mehr hier sein.“ Seine Stimme klang flehend und hilflos, und Fae spürte, wie dieser Klang ihre Wut verrauchen ließ. Jedes seiner Worte war wie ein Streicheln in ihrem Gehirn. Sie fühlte sich benebelt, tiefenentspannt, offen für jede …
„Halt!“ Fae schauderte. „Hör auf damit.“
„Womit?“ Er sah sie ratlos an.
„Du versuchst, mich zu hypnotisieren.“ In ihrem Kopf summte und vibrierte es. Sie wollte wieder seine Stimme hören. Dieses warme, dunkle, streichelnde Raunen. „Du machst irgendetwas mit mir. Was soll das? Versuchst du, mich zu manipulieren?“
Kjell starrte ratlos ins Leere.
„Du bist so verwirrend, dass du sogar dich selbst verwirrst, was?“
Er neigte den Kopf. Was auch sonst. Sie hatte niemals jemanden getroffen,
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