Die siebte Gemeinde (German Edition)
Kemmerling? Sind Sie das?«, fragte eine fremde Stimme.
Emma wurde stutzig. »Äh, ja, wer spricht dort?«
»Hier ist Frank Behr, Kripo Köln. Erinnern Sie sich noch an mich? Ich hatte Ihnen gestern die Fragen bezüglich des Überfalls bei den Seydels gestellt.«
Emma biss sich auf die Lippen und ärgerte sich über ihr voreiliges Geplapper. »Ja, ich erinnere mich.«
»Wie Sie bereits bemerkt haben, Frau Kemmerling«, fuhr Frank Behr fort, »befinde ich mich im Antiquitätenladen der Seydels. Er hat mir freundlicherweise ihre Durchwahl gegeben.« Er machte eine kurze Pause. »Nachdem wir gestern fort waren, wurde hier erneut eingebrochen, müssen Sie wissen. Herr Seydel hat den Überfall heute Morgen gemeldet.«
»Waas!« Emma hoffte, nicht zu übertrieben reagiert zu haben. Gleichzeitig staunte sie, dass Elias die Ruhe aufgebracht hatte und die Polizei erst am nächsten Tag informiert hatte.
»Ja, genau«, setzte der Polizist fort, »Herr Seydel hat mir erzählt, dass er gestern mit Ihnen unterwegs war. Trotzdem haben sich im Laufe der Ermittlungen neue Fragen aufgetan. Könnten Sie eventuell ein wenig Ihrer Zeit opfern und in der nächsten halben Stunde hier im Laden vorbeischauen?«
Emma wurde es flau im Magen. Die Erinnerung an das unterschlagene Dokument kam zurück. »Ja, selbstverständlich«, antwortete sie unsicher, in der Hoffnung, dass Elias nichts erzählt hatte. »Ich bin in wenigen Minuten bei Ihnen.«
Sie überlegte nicht lange und packte ihre Unterlagen zusammen, denn so ungelegen kam ihr der Anruf nicht. Den ganzen Morgen hatte sie Fluchtgedanken gehegt. Schnell ließ sie den Vorgang mit der Kommode in ihre Tasche gleiten und schaltete ihren Computer aus. Emma glaubte nicht, dass sie heute noch zurückkehren würde. Um keinen Ärger mit ihren Chefs zu bekommen, gab sie noch ihrer Sekretärin Bescheid und stürzte zur Tür hinaus.
Emma gab der Vordertür des Antiquitätenladens einen vorsichtigen Schubs. Obwohl ein Schild ›Wegen Trauerfall vorübergehend geschlossen‹ in der Schaufensterscheibe hing, war die Tür nicht verriegelt. Beim Anblick des Schildes wurde ihr wieder bewusst, dass es eigentlich nicht um harmlose Dokumente ging, denen sie mit Elias nachjagte, sondern ein Mensch war ums Leben gekommen.
Bedächtig trat sie in den Eingangsbereich. Da sich niemand im Raum aufhielt und ihr auch niemand entgegen kam, begab sie sich zum Büro und spähte durch den dunklen Vorhang hindurch.
»Ah, Frau Kemmerling«, begrüßte sie Frank Behr lächelnd, der mit einem weiteren Beamten neben Elias am Schreibtisch vor dem Computer saß. »Das ist prima, dass sie sich das so schnell einrichten konnten.« Er sprang von seinem Stuhl auf, richtete sich den durcheinander geratenen Seitenscheitel seiner blonden Mähne und kam Emma mit ausgestreckter Hand entgegen. »Kommen Sie«, sagte er rasch, nachdem er ihr übertrieben höflich die Hand geschüttelt hatte. »Lassen Sie uns nach draußen gehen. Dort können wir ungestört reden.« Bevor er ihr folgte, blickte er sich nochmals zu den beiden Männern um. »Michael, mach du mit Herrn Seydel alleine weiter, und geht gemeinsam die Bestandslisten durch. Nicht, dass wir etwas vergessen.«
Im Ausstellungsraum ließen sich Emma und Frank Behr auf einer mit grünem Damast bezogenen Couch nieder. Der Beamte wandte sich ihr leger von der Seite zu und schlug die Beine übereinander. »Und, wie geht es Ihnen heute?«, begann er mit einem erneuten Lächeln. Dabei blitzte eine breite Zahnlücke zwischen seinen Schneidezähnen hindurch, die ihm, neben seinen hellblauen Augen, einen lausbubenähnlichen Charme verlieh. »Konnten Sie alles gut verarbeiten? … Ach, das hatte ich gestern vollkommen vergessen, … wenn Sie wollen, können wir Ihnen einen Polizeipsychologen zur Verfügung stellen.«
Emma überraschte die lockere Art des Polizisten. Eher war sie auf ein strenges Verhör gefasst. Sofort konfrontiert mit unerbittlichen Fragen. Ähnlich, wie sie es häufig in amerikanischen Kriminalfilmen gesehen hatte.
Womöglich, so dachte sie, wollte er nur ihr Vertrauen gewinnen? Psychologische Tricks, wie sie sie aus ihrem eigenen Beruf zur Genüge kannte. Innerlich bereitete sie sich auf eine baldige Wendung vor. Sie vertraute dem Polizisten nicht. Er sah mit seinem skandinavischen Einschlag aus wie die Idealbesetzung des lieben Onkels in einer Astrid Lindgren Kinderbuchverfilmung. Zum Schutz hielt sie sich an ihrer Aktentasche fest, die sie
Weitere Kostenlose Bücher