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Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die silberne Burg: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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meinem Heim, das mein Gefängnis war. Ich blieb genau bis zu dem Tag, an dem Chajim aufbrach, um einen reichen Grafen im Rheintal aufzusuchen, der ihm viel Geld schuldete und die Zinsen nicht zahlte. Das verschaffte mir die Zeit, die ich brauchte. Ich packte die nötigsten Sachen in ein Bündel, band mir ein Säckchen mit Geld um und verließ im Schutz der Dunkelheit das Haus. Ich hatte kein Ziel, keinen Plan. Alles was ich wusste war, dass ich aus dieser Stadt herausmusste, irgendwohin.
    Als ich an meinem Elternhaus vorbeikam, klopfte ich leise an die Tür. Drinnen war es dunkel, aber dann sah ich einen flackernden Lichtschein. Meine Mutter öffnete das Guckfensterchen, schrie leise auf und zog mich herein. Ich wusste nicht, wie ich es ihr sagen sollte, aber es war auch gar nicht notwendig. Ein Blick in mein Gesicht und der Anblick des Bündels auf meinem Rücken genügte. Meine Mutter schlug die Hände vors Gesicht. »Adonai hilf«, flüsterte sie.
    Wir setzten uns hin und sagten lange Zeit nichts. Irgendwann kam mein Vater aus der Schlafkammer und hockte sich wortlos neben mich auf einen Schemel. Er hatte Tränen in den Augen.
    »Was hat er dir angetan?«, fragte er schließlich.
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich kann’s nicht sagen. Ich kann’s einfach nicht. Es ist schlimmer als alles, was du dir vorstellen kannst, Vater. Chajim ist ein Tier. Lieber sterbe ich, als dass ich dorthin zurückgehe.«
    Er schloss die Augen, nickte. Meine Mutter weinte.
    »Vergib uns«, flüsterte sie schließlich mit tränenerstickter Stimme. »Das haben wir nicht gewollt. Du musst es mir glauben, Sara. Nie hätten wir dein Unglück gewollt.«
    »Ich weiß doch.«
    Mein Vater, der sonst nie trank, holte einen Krug Wein und drei Becher und stellte alles auf den Tisch. »Wo willst du hin?«, fragte er. Er wusste genauso gut wie ich, dass ich nicht bleiben konnte.
    »Irgendwohin, wo er mich nicht findet. Es ist mir auch ganz gleich. Überall auf der Welt ist es besser als bei ihm.«
    Vater stand auf und ging im Zimmer auf und ab. Ich glaubte zu wissen, was er dachte. Es gab niemanden, zu dem er mich schicken konnte. Meine Siegburger Großeltern waren schon lange tot, Freunde in der Fremde hatten wir nicht. Ich war völlig auf mich allein gestellt.
    »Onkel Jehuda«, sagte meine Mutter plötzlich mit Bestimmtheit. »Du gehst zu deinem Onkel Jehuda.«
    Ich fragte mich verwundert, wovon sie sprach. Ich hatte keinen Onkel. Doch dann enthüllte sie stockend die alte Geschichte, von der ich nichts wusste.
    »Jehuda ist mein einziger Bruder, Sara, etliche Jahre älter als ich. Auch dein Vater kennt ihn noch. Jehuda war in seiner Jugend ein wilder Kerl, hatte seinen eigenen Kopf, ließ sich von niemandem etwas sagen. Ja, und dann hat er sich verliebt. Sie war keine von uns, sie war Christin. Das war unmöglich. Alle haben auf ihn eingeredet, meine Eltern, der Barnoss, der Rabbi. Er blieb stur wie ein Bock. Und dann ist er eines Nachts auf und davon, mit dieser Frau. Er hat für sie sogar seinen Glauben aufgegeben; als er fort war, fanden wir seinen Gebetsmantel, seine Riemen und seine abgeschnittenen Schläfenlocken. Er hatte alles zurückgelassen. Und kurze Zeit später hörten wir, dass er die Taufe erhalten und nach Christenart geheiratet hat.« Sie seufzte und strich sich eine graue Strähne aus dem Gesicht. »Mein Vater war ein strenger Mann. Er hat Jehuda aus der Familie ausgestoßen. Wir durften seinen Namen nicht mehr erwähnen. Er sei fortan wie tot, so hieß es. Als nach Jahren eine Nachricht von ihm kam, durften wir sie nicht beantworten.«
    Mein Vater sprach weiter. »Er ist lange in der Welt herumgezogen, so scheint es, und Arzt geworden. Vor ein paar Jahren haben wir gehört, er habe sich in der Stadt München niedergelassen. Und er sei wieder zum rechten Glauben zurückgekehrt. Tja, mehr wissen wir nicht.«
    »Glaubt ihr denn, er würde mich aufnehmen?«
    Meine Mutter hob hilflos die Hände. »Ich hoffe es, Kind. Schließlich bist du Blut von seinem Blut.«
    »Es ist den Versuch wert«, meinte mein Vater.
    Trotz dieser Unsicherheit war ich erleichtert. Plötzlich hatte sich eine Tür aufgetan. Meine Flucht würde jetzt ein Ziel haben. Den Süden. München. Ein unbekannter Onkel namens Jehuda.

    Wir sprachen noch die ganze Nacht durch, planten den Weg, den ich nehmen sollte. Als Mutter kurz vor Morgengrauen Brot und Käse brachte, aß ich zum ersten Mal seit Monaten mit Appetit. Dann tat ich meinen schwersten Gang. Mit der Kerze

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