Die Söhne.
Versagenden.
Man war lange zusammen gewesen, schon machte Dämmerung die Wände verschwimmen und die Gesichter undeutlich. »Es wäre schön«, kam durch diese Dämmerung die Stimme des Acher, »hier in Lud eine Hochschule zu gründen, auf der nicht über Gesetze und Bräuche disputiert wird, sondern über Gott und die Lehren. Wo nicht der Priester und Jurist herrscht, sondern der Prophet, wo man nicht formalistisch argumentiert, sondern sich bemüht, Schauen und Denken zu vereinen, wo man forscht, was wohl die alten Riten bedeuten, und nicht um ihre Äußerlichkeiten hadert. Wo man den hellen Philo ergänzt durch den dunkeln Kohelet und den dunkeln Hiob. Ich könnte mir vorstellen, daß man von hier aus wirklich jüdischen Geist in die Welt sendet und ihn erweitert, statt ihn zu verengen. Es müßte eine Hochschule sein, die Jahve nicht als Erbteil Israels, sondern als Gott der ganzen Welt verkündet und die Judentum, Minäertum, Griechentum dreieinig verbindet.«
Man sah wenig mehr von dem fleischigen, traurigen Gesicht des Acher, und in seinen Worten war nichts von jener spielerischen Ironie, hinter welcher er sein inneres Pathos zu verstecken pflegte. Josef dachte an die Verse, die er gelesen, an diese geheimnisvollen, bitteren Prophezeiungen vom Jüngsten Gericht. Dieser Prophet, dieser Dichter und Besessene, war anders, als sonst Propheten waren. Er trug nicht groben Filz und nährte sich nicht von Beeren und Heuschrecken, vielmehr nährte er seinen fetten Körper mit erlesenen Speisen, pflegte ihn mit Bädern und Essenzen und hielt sich eine schöne, dunkelbraune Frau für sein Bett. Aber was aus ihm sprach, war darum nicht minder wild und inbrünstig als die Stimme derjenigen, die in der Wüste schrien. Josef spürte, wie heiß der junge Mensch um ihn warb, wie sehr er seine Zustimmung für die Hochschule von Lud ersehnte. Er spürte, wie begierig Ben Ismael auf seine Antwort wartete. Es wäre herrlich, mit Männern wie diesen zusammenzuarbeiten. Es wäre gut, in die eigene, helle Nüchternheit etwas von der erregenden Dunkelheit dieses jungen Menschen, von der milden Weisheit dieses älteren zu gießen. Sehr drängte es ihn, zu sagen: Ja, wir wollen hier eine Universität gründen von Juden, Griechen und Römern, eine Lehrschule für Weltbürger. Ich selber will hier bleiben. Laßt mich mit euch arbeiten.
Aber er war nicht mehr jung genug. Die Zweifel ringsum, die Müdigkeit, die Trauer des besiegten Landes waren ihm kein Ansporn, sie zu vertreiben, sie steckten ihn an und drückten ihn nieder. Wäre er dem Acher oder dem Ben Ismael wenige Jahre früher begegnet, er hätte wohl ja gesagt. Jetzt schwieg er.
Es war kein langes Schweigen. Doch auf eine so dringliche Werbung war nur ein schnelles, heißes Ja möglich, jedes Zögern war ein Nein. Die großen, träumenden Worte des Acher waren denn auch noch im Raum, als alle bereits spürten, daß Josef sich versagte.
Es war Ben Ismael, der ihn einer Antwort enthob und die Peinlichkeit seines Schweigens endete. »Kommen Sie zurück in die Wirklichkeit, mein Jannai«, mahnte er den Acher. Und dann brachte man Licht und sprach von Dingen des Alltags.
Auf dem Gut des Pedan hatte man Josef gesagt, der Hauptmann sei zur Jahresmesse nach Emmaus gefahren. Josef wollte seinen Besuch nicht länger hinausschieben und ritt hin.
Er hatte Emmaus als einen hübschen, kleinen Kurort in Erinnerung; er fand eine ansehnliche, lärmende Stadt. Hier hatte Flavius Silva das Gros jener Frontsoldaten angesiedelt, die nach Beendigung des Krieges, den Dienst quittierend, im Lande hatten bleiben wollen. Die Heilquellen hatte man mit einer modernen griechischen Badeanstalt umgeben, die Stadthalle und ihr Platz, das Zentrum der Messe, hätte ebensogut irgendwo in Griechenland liegen können wie in Judäa. Josef suchte die berühmte Säule, die an den Sieg erinnerte, den Juda Makkabi hier errungen hatte. Aber er fand die Säule nicht; sie war verdeckt von der Bude eines Schaustellers, der ein Kamel auf einem Schaffe tanzen ließ.
Josef ließ sich bei Pedan melden. Er hörte ihn quäken und sich lärmend mit dem Leibeigenen unterhalten, ob er den Juden nicht lieber hinausschmeißen solle. Schließlich wurde Josef in ein großes, unordentliches Zimmer geführt. Der Hauptmann, halbnackt, musterte ihn interessiert aus dem blinzelnden, blauen und dem toten Glasaug über der frechen, weitnüstrigen Nase. »Flavius Josephus«, quäkte er, »der Herr Nachbar
Weitere Kostenlose Bücher