Die Spur des Drachen
entstanden war, weiter in die Höhe.
»Jetzt sitzen wir wohl in einem Boot«, meinte Ben, dessen Ohren noch von dem Lärm dröhnten. Zusammen rannten sie ans andere Ende der Straße.
23.
»Ich will mit eigenen Augen sehen, was hier passiert ist«, beharrte Daniel Sukahamin, der Verteidigungsminister von Sierra Leone.
»Das Gebiet um die Stadt herum könnte unsicher sein, Sir«, warnte der Colonel, der das amerikanische Team der militärischen Berater führte.
Sukahamin drehte sich im Jeep zu ihm herum, während das Fahrzeug die Straße entlang raste und sich den Randbezirken Katanis näherte. »Ich dachte, Dörfer wie diese zu sichern, wäre Ihr Job, Colonel. Hat man Sie nicht deshalb hierhergeschickt?«
Daniel Sukahamin war ein enger Verbündeter von Präsident Ahmed Tejan Kabbah, seit Kabbahs Truppen 1998 wieder die Macht von der RUF übernommen hatten. Es war Sukahamin gewesen, der die ECOMOG gestärkt hatte, eine Allianz westafrikanischer Staaten, die gegründet worden war, um die Rebellen während der Zeit des Waffenstillstands in Schach zu halten. Außerdem hatte Sukahamin die Bürgerwehr geschaffen: Er hatte die Idee gehabt, die Kamajors zusammenzutrommeln, um diese Bürgerwehren zu formieren, die ihre eigenen Dörfer gegen Angriffe der Revolutionäre Einheitsfront verteidigen sollten. Die Kamajors waren die traditionellen Jäger des Stammes der Mende, der ethnischen Mehrheit, die in den südlichen und westlichen Provinzen des Landes lebte. Ihre Beteiligung half, die RUF zu zersplittern und sie davon abzuhalten, außerhalb ihrer Basis im Osten Fuß zu fassen.
Doch die Truppen der Bürgerwehr, die CDF, waren kaum unter Kontrolle zu halten. Einmal bewaffnet, richteten sie oft mehr Schaden als Nutzen an. Kämpfe zwischen örtlichen Stämmen brachen aus, wie auch zwischen verschiedenen Stämmen und der regulären Armee. Sukahamin erkannte, dass er mit den Kamajors ein Ungeheuer erschaffen hatte, das auf seine Art genauso schlimm war wie die Revolutionäre Einheitsfront. Es wurde ein Vollzeit-PR-Job, die RUF für die Gräueltaten verantwortlich zu machen, die von den Kamajors begangen worden waren.
Nachdem sich die von den Vereinten Nationen abgestellten Internationalen Friedenstruppen als unwirksam erwiesen hatten – sie wurden häufiger zu Geiseln, als dass sie eine Beschützerrolle spielten –, hatte Sukahamin amerikanische Soldaten als militärische Berater ins Land geholt. Die Aufgabe dieser Soldaten bestand darin – jedenfalls nach außen hin –, die kleine Armee auszubilden und auszurüsten, die der Verteidigungsminister aus den Reihen der Bürgerwehr rekrutiert hatte. Heimlich jedoch führten die Amerikaner Antiterror-Unternehmen und andere Einsätze durch, die darauf abzielten, die Revolutionäre Einheitsfront auseinanderzureißen, vielleicht sogar endgültig zu zerstören.
»Herr Minister«, sagte nun der amerikanische Colonel, »meine Befehle …«
»Vergessen Sie Ihre Befehle!«, fuhr Sukahamin ihn an. »Mein Land stirbt, Colonel, und die Amerikaner haben Sie hergeschickt, es zu retten.« Daniel Sukahamin lehnte sich zurück, verschränkte die Arme und starrte geradeaus. »Wir wissen, dass General Matabu und ihre Rebellentruppen einen weiteren Angriff auf Freetown vorbereiten. Wenn es uns nicht gelingt, die Hauptstadt zu halten, oder wenn wir uns in größere Kämpfe verwickeln lassen, gehen wir das Risiko ein, die Bürgerwehr in Dutzende kleiner Gruppen zu zersplittern. Matabu wird Präsident Kabbah töten lassen und sich selbst zum Staatsoberhaupt ausrufen.« Sukahamin blickte den Amerikaner an. »Haben Sie Kinder, Colonel?«
»Einen Jungen und ein Mädchen, Sir.«
Der Blick des Verteidigungsministers wurde kalt und hart. »Wissen Sie, was mit ihren Kindern geschehen würde, wenn sie hier wären, sobald die Regierung fällt? Die Gliedmaßen des Jungen würden eines nach dem anderen abgehackt, und er würde liegen gelassen, bis er verblutet ist. Das Mädchen würde so oft vergewaltigt, bis es stirbt.«
Der Colonel verzog angewidert das Gesicht.
»Ich übertreibe nicht. Das ist die Realität, der unsere Bevölkerung entgegensieht.«
Sukahamin verstummte, als der Jeep in Katani einfuhr, in dem das Chaos herrschte.
»Was, zum Teufel …«, sagte der Colonel.
Die Dorfbewohner duckten sich beim Anblick des Jeeps. Die meisten wichen zurück; andere ließen ihre wenigen Habseligkeiten fallen und flohen in die Wälder. Ein paar näherten sich dem Fahrzeug, jammernd und schreiend.
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