Die Stadt der schwarzen Schwestern
fiel ihr Blick auf den Brief. Eigentlich waren es zwei Papiere, eines von beiden war an sie gerichtet. Beelken war stolz darauf, ein wenig lesen zu können. Das hatte sie als Kind gelernt, während sie den frommen Schwestern vom Spital bei der Pflege Kranker geholfen hatte. Ihre Aufgabe war es unter anderem gewesen, den Apothekenschrank zu sortieren, also musste sie auch entziffern können, was sich in den einzelnen Spanschachteln, Fläschchen und Phiolen befand.
Griet erkundigte sich in dem Schreiben an sie nach Basse und gab ihr einige Anweisungen, den Jungen betreffend. Über den Erfolg ihrer Mission schrieb sie allerdings nur wenig, was Beelken beunruhigte. Offensichtlich hatte sie vor, noch länger mit Don Luis durch die Ardennen zu reisen. Beelken fragte sich, ob der zweite Brief genauere Informationen enthielt, doch sie wagte es nicht, das Siegel zu brechen. Dieses Siegel gehörte einem Edelmann, dem Herrn des Guts Elsegem.
Beelken vermengte Eier und Mehl, dann fügte sie Wasser und einen Schuss Milch hinzu und rührte so lange, bis ihr der Arm wehtat. Den Brief mit dem fremden Siegel sollte sie so rasch wie möglich zur Kirche bringen und dem Priester aushändigen.
Warum dem Priester?, fragte sich Beelken immer wieder. Sie war durcheinander, der Schmerz in ihren Zehen und der verspannte Rücken machten ihr zu schaffen.
Nach dem Essen nahm sie Basse an die Hand, legte den Brief in einen Korb und machte sich auf den Weg in die Stadt. Sie hatte vor, Griets Schreiben abzuliefern, Griet sollte keinen Grund finden, ihr zu misstrauen. Doch je näher sie den Türmen der Kirche kam, desto unsicherer wurde sie. Die Brüder Osterlamm und ihre Drohungen fielen ihr wieder ein. Coen hatte ihr befohlen, sofort zu ihm zu kommen, wenn Griet sich melden sollte. Beelken blieb stehen. Sie schob die Entscheidung vor sich her, bis sie nicht mehr weiterwusste. Schwer atmend lehnte sie sich gegen eine Hauswand und beobachtete die Menschen, die an ihr vorbeiliefen. Kaum einer nahm Notiz von ihr, nur zwei Dominikanerinnen, die geflochtene Körbe mit Brennholz auf dem Rücken stadteinwärts trugen, warfen ihr einen mitleidigen Blick zu.
«Gehen wir in die Kirche?», wollte Basse wissen. Er zog so heftig an ihrem kleinen Finger, dass Beelken beinahe vor Schmerz aufgeschrien hätte. Gleichzeitig spürte sie, wie sich das Kind in ihrem Bauch bewegte. Für gewöhnlich genoss sie es, das kleine Wesen zu spüren, heute aber brach ihr trotz der winterlichen Kälte der Schweiß aus.
«Komm schon weiter», rief sie Basse zu, der sie auf das Kirchenportal zuschob. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen. Ohne auf die Protestrufe des kleinen Jungen zu hören, machte sie kehrt. Sie eilte am Rathaus und an der Tuchhalle vorbei, bog in die Hoogstraat ein und stand wenige Minuten später erhitzt und atemlos vor dem hohen Patrizierhaus der Familie Osterlamm. Vorsichtig schaute sie sich nach bekannten Gesichtern auf der Gasse um. Ausgerechnet hier bei einem verbotenen Botengang ertappt zu werden, wollte sie unbedingt vermeiden. Dann betätigte sie den Klopfer.
«Ich hätte nicht gedacht, dass du so folgsam bist», erklärte Coen Osterlamm lächelnd, als Beelken ihm mit Todesverachtung Griets Brief reichte.
«Ich betrüge nicht nur meine Herrin, sondern auch einen Priester», stieß Beelken hervor. «Das Schreiben ist für Pater Jakobus bestimmt und nicht für Euch.»
Coen Osterlamm zuckte verächtlich die Schultern. Er schob Beelken und Basse in eine Stube, in der neben einem Spinnrad nur noch zwei Schemel und eine einfache Rundbank standen, vermutlich war sie für das Gesinde eingerichtet worden. Beelken sah zu, wie der Sohn des ehemaligen Bürgermeisters das Siegel brach, ohne mit der Wimper zu zucken.
«Weißt du, worum deine Herrin Pater Jakobus bittet?», fragte er nach einer Weile.
Beelken schüttelte kurz den Kopf. Es war ihr unangenehm, mit Coen allein in einem Raum zu sein. Obwohl er ihr gegenüber Distanz wahrte, brannte ihr der Boden unter den Füßen. Zudem schämte sie sich, Griet zu hintergehen.
Es verging eine Weile, bevor Osterlamm den Blick von dem Schreiben löste. Er schien zu überlegen, wie er die Neuigkeiten zu seinen Gunsten verwenden konnte. Dann sagte er zu Beelken: «Du bringst den Brief jetzt zu Pater Jakobus. Sag ihm, du hättest das Siegel aus Versehen zerbrochen. Der Alte ist so zerstreut, er wird darüber hinwegsehen.»
Pater Jakobus freute sich über den Besuch der blassen jungen Frau. Er erinnerte sich
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