Die Stadt der tausend Schatten: Roman (German Edition)
Strapazen am Dock, und viele halten ihreWaffen immer noch fest umklammert. Es ist klar, dass diese Männer zu Conall gehören und jedem seiner Befehle folgen.
Wir sind ihnen ausgeliefert.
»Du hast die richtige Entscheidung getroffen«, sagt er zu Elias. »Du hast ihn uns versprochen, und du hast geliefert.« Dann dreht er sich um und drängt sich zum anderen Ende desWagens durch.
Ich starre Elias an, der Schock raubt mir den Atem, mir ist schwindelig. »Du hast uns reingelegt?«
Catcher drückt meine Hand fester. »Nicht jetzt, Annah«, warnt er.
Ungläubig schaue ich ihn an. »Aber dieser Mann hat gesagt, Elias …«
Catcher schüttelt den Kopf, einmal, heftig, dann sieht er die Umstehenden an . A lle R ekruter hören mit.
Ich funkele Elias an und drehe mich dann wieder zum Fenster um, lieber will ich meine Stadt untergehen sehen, als einenVerräter anzuschauen.
Wir nähern uns gerade der Flussmitte, als die Horde die Bahnstation stürmt, die wir gerade verlassen haben. Leute versuchen zu fliehen, springen vom Bahnsteig – doch dasWasser ist eiskalt, und sie können nirgendwo hin.
Boote drängen sich auf dem Fluss, manche haben Kurs auf den Inneren Bereich genommen, drehen aber ab, als sie die R ekruter auf demWall patrouillieren sehen, der die Insel umgibt. Sie werden jeden erschießen, der sich dem Ufer nähert.
Langsam begreife ich, wie ungeheuerlich all das ist. Das war einmal mein Zuhause. Die Dunkle Stadt, die Neverlands – diese Insel hatte seit der R ückkehr den Ungeweihten standgehalten. Über Generationen hat man sich angestrengt, gekämpft, geschützt und durchgehalten.
Und das ist jetzt alles weg. Einfach so. In weniger als einemTag.
Ich drücke den Kopf an das kalte Glas, das von meinem Atem beschlagen ist und das Chaos verhüllt, das ich hinter mir lasse.
Und wenn das jetzt alles war?Wenn wir jetzt nur noch das Unausweichliche hinausschieben?
Catcher scheint meine Gedanken lesen zu können, er rückt näher an mich heran . A ber seine Hitze kann das eisige Entsetzen nicht durchdringen, das sich in meinem Herzen eingenistet hat und mir kalt durch die Adern rinnt.
14
W as ich über den Inneren Bereich weiß, beschränkt sich auf das, was ich von der Dunklen Stadt aus davon sehen konnte: Es ist eine kleine Insel mitten im breiten Fluss, deren Küste rundherum von einem breitenWall geschützt ist . A n jedem Ende steht eine Gruppe schmalerWolkenkratzer, und dazwischen zieht sich ein langes, niedriges Gebäude hin, das in einem trüben Grau gestrichen ist.
Zu diesem Gebäude werden wir gebracht, nachdem unsere Seilbahn an der Plattform auf der Mauer gelandet ist. Eine Handvoll R ekruter drängt sich um uns und nimmt uns dieWaffen ab, während die Geräusche aus der Dunklen Stadt vom eisigen Wind über den Fluss getragen werden: Schreien, Stöhnen, Panik.
Ich will darauf hinweisen, dass sie nicht befürchten müssen, dass wir weglaufen – wo sollten wir denn hin? –, aber ich vergrabe die Hände nur tiefer in denTaschen und ziehe die Schultern bis an die Ohren gegen die Kälte.
Im grauen Gebäude ist es auch nicht viel wärmer, nur dunkler, denn es gibt nicht viele Fenster, die natürliches Licht hineinlassen. Der Fußboden ist dreckig, die Wände fettig, und über allem liegt ein schwacher Geruch nach Kloake und Müll. Ich atme möglichst flach. Conall, offensichtlich ein R ekruter hohen Ranges, führt uns schweigend durch gewundene Korridore an jeder Menge leerer Räume vorbei. Einige davon sind völlig kahl, in anderen liegen Papiere oder kaputte Möbel herum . A uf allem lastet das Gewicht derVerlassenheit.
Keine Ahnung, was ich erwartet habe: den Überfluss des einstigen Protektorats oder wenigstens die Überschüsse der Schwarzmarktgeschäfte? Das hier bringt mich auf den Gedanken, dass es den R ekrutern vielleicht genauso ergeht wie uns anderen in der Dunklen Stadt, dass sie gerade eben überleben.
Schließlich betreten wir einen dunklen Flur . A uf der einen Seite dringen Lichtstreifen durch schmutzige Fenster, auf der anderen befinden sich geschlossene Türen. Conall macht eine davon auf und nickt Catcher zu, er soll eintreten. Dieser zögert und schaut sich schnell zu mir um.
»Es sind noch Einzelheiten zu verhandeln«, sagt Conall. »Solange nicht alles geregelt ist, dürft ihr nicht auf der Insel herumlaufen.«
Ich merke, dass Catcher unruhig ist, aber er folgt der Anweisung und betritt den Raum. Conall schubst Elias hinterher.
»Moment mal!«, ruft Elias. »Was ist
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