Die Statisten - Roman
mach nur, red mit Pieta! Oder noch besser, red mit ihrer Mutter!â
Parvati-bai kniff die Augen zusammen, wie um besser zu hören. âHör auf damit, Raâ¦â Dann zuckte sie zusammen, als habe ihr Sohn ihr eine Ader aufgeschlitzt. âDas ist doch wohl nicht dein Ernst!â Sie schwieg kurz, um es zu verarbeiten. âDoch, ich glaube, das ist es. Ach, Ravan, von allen Frauen auf der Welt musst du dir ausgerechnet eine aus dieser Familie aussuchen!â
GroÃmutter, Pieta und Violet begleiteten Eddie zum Flughafen Santacruz. Sie waren sonntäglich herausgeputzt, aber sie sahen verloren aus. Violet wirkte geistesabwesend. Hier hatte ihr Mann jahrelang gearbeitet, und hätte ihn nicht dieser Junge vom Stockwerk unter ihnen umgebracht, wäre er inzwischen, wenn schon nicht Leiter der Technik- und Wartungsabteilung, so zumindest Chefaufseher, und sie wären mittlerweile alle wenigstens zwanzig Mal im Ausland gewesen und hätten sich hier wie zu Hause gefühlt. Nicht nur das, sie würden jetzt in einer Vierzimmerwohnung wohnen und nicht in dieser Ameisenkolonie namens CWD -Chawls, und sie hätten einen Wagen und einen Chauffeur, wie damals in Goa. Die Abreise ihres Sohnes weckte in ihr zwiespältige Gefühle. All die Jahre hatte sie sich gewünscht, dass er endlich auf eigenen Beinen stehen und etwas erreichen würde. Jetzt hatte er aus eigener Kraft einen Job an Land gezogen, und noch dazu im Ausland, aber sie wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte.
Er würde als Alleinunterhalter im Restaurant eines Fünf-Sterne-Hotels in Dubai arbeiten, nicht gerade die Art von Beschäftigung, die dem Namen der Familie Ehre einbrachte. Lieber wäre es ihr gewesen, wenn er als Hoch- oder Maschinenbauingenieur, als Marketingdirektor für eine groÃe Firma oder als Manager eines Bergbauunternehmens dorthin gegangen wäre. Sie musste aber zugeben, dass tausend Dollar im Monat nicht zu verachten waren. Das waren nicht nur tausend Rupien, auch nicht fünftausend. Sie war zur Bank gegangen und hatte sich nach dem Wechselkurs erkundigt. Er betrug 7,80 Rupien für einen Dollar. Das bedeutete fast achttausend Rupien. Sie sagte sich den Betrag drei oder vier Mal vor. Achttausend Rupien. Sie verdiente kaum so viel in einem ganzen Jahr! Hatte sie vollkommen falsch gelegen? War sie unfähig gewesen zu erkennen, dass Eddie ein groÃer Künstler war â mochte sie seine Musik auch noch so verabscheuen? Warum sonst hätten die ihm so viel Geld angeboten? Wenn ihr Sohn wirklich ein Künstler war, dann hatte sie ihm in all den Jahren gewaltig Unrecht getan.
Die Beziehungen zwischen Mutter und Sohn waren nach wie vor gespannt, aber Pieta hatte eine Détente erreicht. Tatsächlich hatte sie mehr als das getan. Sie hatte Violet vom Angebot des Four Seasons Hotels in Dubai erzählt. Ihre Mutter war überzeugt, das sei auch nur wieder eine von Eddies Schwindelgeschichten, aber Pieta hatte nicht lockergelassen und überzeugte Violet schlieÃlich von der Notwendigkeit, wenn schon nicht ihrem Sohn zu glauben, so doch ihre Skepsis vorübergehend auszusetzen und Eddie eine Chance zu geben. Andernfalls würde sie sich Eddie auf Lebenszeit entfremden â was sie sich nie verziehen hätte. Vielleicht war das der Grund, weshalb Violet am Ende weich geworden war und ihm die Hälfte ihrer Ersparnisse â dreitausendfünfhundert Rupien â gegeben hatte. Eddie hatte es irgendwie versäumt, die dreitausend von Belle, und die fünfhundert, die er Pieta abgebettelt hatte, zu erwähnen. Eddie und der Vermittler, Makler, Impresario, oder was immer der Kerl sein mochte, hatten unerbittlich gefeilscht, sich aber dann auf siebentausend für Ticket und Vorschuss geeinigt; den Restbetrag würde Eddie zahlen, sobald er die erste Monatsgage erhalten hätte.
Violet fragte sich, was dieses Anglo-Mädchen eigentlich hier zu suchen hatte. Die war anscheinend von sich aus gekommen. Da sah man mal wieder, was für eine Kinderstube die hatte, bei solch einem familiären Anlass aufzukreuzen! Sie hatte versucht, sich einzuschmeicheln, indem sie herübergekommen war und âHallo, Mrs Coutinhoâ gesagt hatte, aber von Violet keines Wortes gewürdigt wurde. Nach wenigen Minuten hatte sich Belle entfernt und in gebührendem Abstand zur Familie gewartet. Pieta dagegen hatte sie herzlich begrüÃt und sogar den Arm um sie gelegt. Es war
Weitere Kostenlose Bücher