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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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Benno recht tirolerisch-tuifelehaft ausgesehen hatte, in seinem weinroten Schlafanzug, die Pfeifenspitze zwischen den starken weißen Zähnen … Aber diese gefundene und benennbare Erinnerung enttäuschte Melzer. Sie war nicht das eigentlich hier gemeinte; und die verkehrte Politik England gegenüber stand wie eine Blende oder ein Wandschirm vor einem ganz anderen Bilde. Einen Sekunden-Bruchteil lang stellte Melzer sich die intensiv himmelblauen Federchen an der Schwinge eines Nußhähers vor; aber das war nur wie die nahe Mücke, welche man für einen hochfliegenden Vogel gehalten hat. Während Stangeler sich polemisch in der Pachtung gegen das gräflich Berchtold'sche Palais hinaufgewandt hatte, war Melzer gleichsam ein kleines Stück tiefer in die Strudlhofstiege eingesunken.
    »Glauben Sie, Herr von Stangeler«, sagte er, nachdem sie wieder, ohne zu sprechen, ein paar Schritte weiter die Rampe hinaufgestiegen waren und jetzt an die Kehre zur oberen gelangten, »glauben Sie, daß Editha Pastré damals, vor vierzehn Jahren, hintennach erfahren hat, was sozusagen auf ihre Veranlassung hin auf dieser Stiege hier vor sich gegangen war?«
    »Selbstverständlich hat sie alles erfahren«, antwortete René.
    »Woher wissen Sie das? Haben Sie mit ihr darüber einmal gesprochen?«
    »Ich werde mich hüten«, sagte Stangeler. »Das hat die nicht gern, von alten Sachen mag sie nichts hören. ›Herr Melzer, gemahnen Sie mich nicht des Gewesenen!‹« – Er hatte sich dem Major zugewandt und Editha so vollkommen und überzeugend nachgeäfft, daß Melzer vom Lachreiz vollends überwältigt wurde und – während er zugleich sein Gelächter sich selbst bitter verübelte – eine schon beinah Erlösung zu nennende Erleichterung empfand.
    »Und woher stammt dann, Herr von Stangeler, Ihre Kenntnis von Edithas Kenntnis?« sagte er, endlich mit einiger Anstrengung das Lachen zurückdrängend.
    »Das lag doch auf der Hand«, antwortete René. »Der alte Schmeller hat mit Editha ein Verhältnis gehabt – etwas später nämlich, denn zur Zeit des Skandals hier auf der Strudlhofstiege war's im eigentlichen Sinne noch nicht der Fall. Das weiß ich zufällig.« Er lachte nach diesen Worten in einer für Melzer nicht verständlichen Weise. »Aber bald danach. Ich kann Ihnen verraten, daß ich die beiden im selben Herbst noch im Prater habe wandeln sehen, unter abendlichen Kastanienbäumen, aber auf schon ganz eindeutige Art. Es wäre doch absurd, anzunehmen, daß er ihr nie etwas erzählt hätte.«
    »Allerdings«, sagte der Major. »Sagen Sie, Herr von Stangeler, erinnern Sie sich eines gewissen Abends heuer im Frühjahr, beim Rittmeister, als er noch in der Skoda-Gasse wohnte? Sie und ich, wir haben damals Frau Schlinger nach Hause gebracht.« »Ja, natürlich«, sagte René. »Ich bin bis hierher mitgegangen.« »Ganz richtig. Wir sind dort oben (Melzer wies gegen die Plattform hinauf) gestanden, Frau Editha zwischen uns. Ich glaube, wir haben wohl beide das gleiche gedacht, ich meine, wir haben uns an das gleiche erinnert. Ich hab' Sie sogar noch gefragt, damals. Editha hat nur gesagt: ›Das ist also diese Strudlhofstiege.‹ Denn oben, bei dem Rittmeister, hat ihr erst der Oki Leucht erklären müssen, was das überhaupt ist, die ›Strudlhofstiege‹.«
    »Richtig, das stimmt«, bemerkte René und sah, stehen bleibend, aus zusammengekniffenen Augen seitwärts. »Sehen Sie, sehen Sie«, sagte er, sich tief besinnend, ja so, als griffe er entschlossen zu einem rücksichtslosen Aus-Schöpfen in's eigene Innere, »das ist zum Beispiel einer jener Fälle, wo wir – zu genau sind. Ich fühl's, ja ich weiß es. Dem süßen Pallawatsch weiblichen Sensoriums und Bewußtseins geschieht da unrecht. Sie hat natürlich gewußt von der Strudlhofstiege und von alledem überhaupt. Sie hat nur grad damals nicht davon gewußt. Aber ist denn das noch ein Wissen, das einmal da ist und einmal nicht, und wenn's einem obendrein noch so ganz natürlich dünkt und gar keine Unruhe macht? Mir scheint manchmal, man müßte zwei verschiedene Wörterbücher anlegen, ein weibliches und ein männliches, und so würden mit der Zeit zwei verschiedene Sprachen entstehen, und wer verliebt ist, müßte dann die andere lernen, statt die eigene zu verdrehen. Oder es würde das Reden zwischen den Paaren überhaupt abkommen, nur so eine Art Tast-Sprache würde bleiben, wie die Insekten, die durch ihre Fühler miteinander reden, eine Insektensprache …« Sie waren

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