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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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ließ sich vom Oberkellner einen Fahrplan geben, und auf den ersten Griff ergab sich der bequeme Schnellzug am Nachmittage. Von daheim gleich telephonisch das Zimmer bestellen, ein schönes, ein großes, nicht im Bauernwirtshaus bei der Mühle, (das lockte ihn jetzt gar nicht) sondern im unteren Gasthof! So weit gelangt, empfahl er sich bald und ging.

    Des Abends, vor halb sechs Uhr, machte sich René Stangeler auf den Weg zum Westbahnhof, um Grete Siebenschein abzuholen. Durch die Straßen strömte und fädelte ein dann und wann durchbrechendes Sonnenlicht, das allenthalben Zerfahrenheit verbreitete, Nebensächliches in heftigem Golde erglü hen ließ und in einer nicht deutbaren Weise hervorhob – da ein Firmenschild, dort eine halbe Fenster-Reihe – und überall entgegenkam, den Weitblick mit seinem Glanze eröffnend und im Verschwinden wieder verschließend. In der kleinen und altmodischen Wartehalle der Ankunft-Seite war schon die Verspätung des Pariser Zuges angeschrieben; ein gleichfalls, aber nur wenig verspäteter Schnellzug von Salzburg her sollte jetzt einlaufen, man ging bereits durch die geöffneten Doppeltüren auf den Perron hinaus. »René!« rief da jemand halblaut, eben als Stangeler eine Bahnsteigkarte gelöst hatte. Er vernahm diese weiche und sehr warme Stimme mit einer Art Genuß, sah sich um, erblickte aber niemanden: indessen trat Paula Pichler von rechts heran. Sie war schon daran gewesen, hinaus zum Zug zu gehen. Hinter ihr wurde jetzt Lintschi sichtbar und von René sogleich in die Arme geschlossen, nachdem er Paula gebührend begrüßt hatte. Lina war durch Stangelers Benehmen sehr geniert, freute sich aber ganz augenscheinlich. Sie gingen hinaus, um jetzt also zu dritt die Thea Rokitzer zu erwarten.
    Von deren Zusammenhange mit Paula Pichler erfuhr nun René während der Viertelstunde, welche der Salzburger Schnellzug noch auf sich warten ließ. Für Stangeler, der sich um Thea bisher nie im geringsten bekümmert hatte – sie war für ihn ein Anhängsel des Rittmeisters gewesen und sonst nichts – gewann die Rokitzer damit plötzlich Bedeutung, als werde sie an sein Leben nun gleichsam angefügt oder angeschmolzen, während gleichzeitig eine Scheidewand einbrach, die bisher das vollends Beziehungslose voneinander getrennt hatte. Ihm ahnte damals blitzartig wenn auch schwach das Allgemeine dieses Vorganges bei vorschreitendem und um sich greifendem Leben, dessen Ausgangs-Situationen da immerhin so aussehen mochten wie ein Zusammentreffen entlegener Welten, etwa das seiner Schwester Asta mit Paula Schachl auf der unteren Rampe der Strudlhofstiege vor vierzehn Jahren, wobei Grauermann den lächerlichen Brückenschlag versucht hatte durch wechselseitiges Vorstellen, ein rechter Pontifex im Konventionellen.
    Paula wollte nun freilich bei dieser Gelegenheit vieles wissen – so auch über den Rittmeister – und sie sprachen rasch und angelegentlich, wie Geschwister, die einander lange nicht gesehen, und in einem Zutrauen, das weit außerhalb jeder Fraglichkeit gestellt war. Lintschi, der dieses Gespräch in unbekanntes Terrain entglitt, trat gleichsam beiseite noch bevor dies ganz offenkundig wurde, und vornehm, wie sie war, verwandelte sie ihr anfängliches Zuhören in ein Weghören und ließ den Blick ihrer ernsten graublauen Augen, darin die Einsamkeit und Verbindlichkeit menschlicher Natur in seltener Weise sprechend sich vereinten, über den Perron, die Wartenden und die Geleise in der Halle wandern.
    Indessen drang Paula bis zu Melzern vor, das heißt, sie fragte geradewegs nach diesem, was denn das für einer sei?
    »Ja, Melzer!« sagte René, und sah zur hohen Hallendecke empor, in die rauchgrauen eisernen Träger und Verspannungen und das dicke Glasdach, durch welches die Sonne kaum zu dringen vermochte. Es schien, als wolle er jetzt das rechte Wort von dort herabholen. Zugleich zeigte dann die Wahl seiner Worte, daß ihm daran lag, von Paula auch verstanden zu werden. »Melzer«, sagte er, »das ist die Grund-Anständigkeit, aus der alles möglich ist. Auch der größte Schritt. Auch der zum Genie. Und die sich dabei immer selbst im Weg steht, weil sie vor allem zurückscheut, was nicht einfach ist. Und was ist schon einfach?« Er sah unwillig zu Boden, unwillig über sich selbst, denn die Wahl der Worte schien nun doch ganz mißglückt, und wie gerne wär' er jetzt von Paula verstanden worden! Wie um ihre Verzeihung zu erlangen für eine bewiesene Unfähigkeit – eine

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