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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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verantwortlich. Für einen Augenblick nur, ohne daß er solches klar dachte, kehrte ein Daseinsgefühl aus dem Kriege wieder: wenn es gegolten hatte, sich zu entschließen, einen Befehl zu geben. Dumpf und dunkel streifte ihn das, von sehr nahe: es erinnerten sich sozusagen die Organe, nicht der Kopf. Jetzt schien ihm gut, daß er den Zimmerkellner doch nach dem Namen des Angekommenen gefragt hatte. Der gesunde Menschenverstand war da über die sich öffnende Kluft des Staunens ohne weiteres drübergesprungen, er hatte nicht intermittiert. Es wäre keinesfalls möglich gewesen, dachte Melzer, auf Asta die Sicherheit zu übertragen, mit welcher er sofort gewußt hatte, wer der Ankömmling sei – wenn auch gerade durch Astas knappe und treffende Charakteristik der Person (daß der Spitzname den René zum Urheber hatte, wußte der Major freilich nicht). Nun aber brachte er gleich auch den Beweis mit. Im leeren Speisesaale, der nur schwach beleuchtet war, blieb er für ein paar Augenblicke stehen mit seiner Gießhübler-Flasche in der Hand. Ihm war, als liefe er von allen Seiten um seine eigene Mitte zusammen: jetzt erinnerte er sich bewußt an den Krieg. Dies war das gleiche Gefühl wie damals, in gewissen – – Lagen; nur stärker, klarer. Ihm war, als fiele er durch die Zeit, rasch, mit Zug, mit scharfem Windzug. Er betrat den Saal. Hier hatte der Lärm zugenommen, auch der Tisch Astas und Etelkas tat das Seine. Bei Negria und dem Fräulein Scheichsbeutel drüben saß jetzt der jüngere Enkel des Ministers.
    Fraunholzer, so dachte der Major, war hier für jeden Augenblick zu erwarten, da er kaum schon zu Abend gegessen haben dürfte: und aus dem Speisesaal mußten ihn wohl Lärm und Musik hereinziehen, wenn auch nur um nachzusehen, ob hier vielleicht jemand von der Villa anwesend sei. Melzer bestrebte sich, durch den eben wieder beginnenden Tanz hindurchzusteuern: glücklicherweise war Asta noch am Tische verblieben. Als er wieder neben ihr saß und den Gießhübler einschenkte, machte er leise seine Meldung, knapp und eindringlich. Jedoch, noch während dieses Flüsterns und als eben Asta, um sich zu vergewissern, noch einmal fragte, erhoben sich Karl und Etelka und verließen miteinander den Saal. Asta sah ihnen verblüfft nach. Es verschwand dieser Abgang wohl im Wirbel des Tanzes: aber er blieb doch irgendwie ein starkes Stück und nicht unbemerkt auch von anderen. Der Doktor Negria zum Beispiel schien, den beiden nachblickend, in tiefes Sinnen zu versinken. Astas und Melzers aber bemächtigte sich augenblickliche Ratlosigkeit. Sie hätte wohl der Schwester nacheilen können. Indessen es war zu spät.

    Denn Fraunholzer, der inzwischen in einer Ecke des Speisesaales Platz genommen hatte, zwischen ähnlichen Rollwänden wie drinnen, welche gleichfalls eine Art von Logen bildeten, erwartete hier sein Abendessen. Den Zustand, welchem Etelka und Karl augenblicklich unterlagen, hätte der Rittmeister Freiherr von Eulenfeld etwa als ›erheblich kälberne Anwandlung‹ bezeichnet. Auch waren beide betrunken (das hat Karl von W. damals im Stande der Unschuld und Unwissenheit, später tiefbedrückt im Vertrauen mitgeteilt). Sie blieben, nachdem sie die Türe des Tanzsaals hinter sich geschlossen hatten, gleich bei dieser in dem anscheinend leeren Speisesaale stehen und begannen einander abzuküssen. Dann durchschritten sie ein kurzes Stück des Raumes, nur um alsbald nach rückwärts in den Wirtsgarten zu verschwinden, der verlassen im zunehmenden Monde lag und in der nächtlichen Frische, welche im Hochgebirg gegen Ende des August mitunter schon recht fühlbar ist. Im ganzen hatte sich das Paar kaum eine halbe Minute in dem Speisezimmer aufgehalten. Gleich danach erschien der Haut- und Knochenkellner mit des Generalkonsuls Abendessen.
    Dieser nahm eine Gabel in die Hand und ließ sie wieder sinken. Wie der Druck einer ungeheuren Presse, so kam jetzt das Gewicht seines Lebensalters, das sich den Fünfzig näherte, auf ihn herab, erdrückte leicht und nebenbei den aufprasselnden Zorn über diese erlittene Schmach, welche von der Höhe jener Jahre den unschuldigen Karl freilich als einen Lausbuben, und als nichts weiter, sehen und zuerst nur als ein Ziel für jenen Zorn hinstellen wollte: aber dieses fiel alsbald und schwand aus dem Blick. Eines ganzen Lebens Schlachtfeld, trümmerbesät, darauf die letzten Legionen untergingen, lag wie mondbeglänzt, wies die hoch emporragenden zerbrochenen Schäfte vergebens

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