Die Strudlhofstiege
geschleuderter Geschosse, den bläulichen Schein auf Panzern, die vor gar nicht so langer Zeit noch in der Sonne gefunkelt hatten, den bleichen Glanz auf starr gewordenem, einst hurtig jugendkräftigem Knie eines Gefallenen, welches nun gegen das milde Gestirn reglos gehoben war. Hier war sie, die sich vollendende Niederlage, deren Kommen er schon bei der Abreise aus Belgrad gefühlt hatte. Schon war der Rückzug beschlossen in die letzte Festung, hinter den Limes, in's sichere Grenzkastell (zu Gmunden) gegen das Nichts, und der Entschluß wog leicht, weil er nichts mehr wählend ordnete, sondern nur einholte, was die Tatsachen schon geordnet hatten. Aber wenn ihm eines jetzt helfen konnte, dann war es dies: zu sehen. Bis zur Austrocknung der Augen, die dann nicht mehr überfließen konnten. Und bis zum Erbrechen, das ihm jetzt beim Anblick der angerichteten Speisen durch einen Augenblick nahekam, weshalb er die Schüsseln zurückschob. Er warf die Gabel, die er noch hielt, auf den Tisch und erhob sich. Ja, hier war der Heiltrank zu nehmen, hier wurde er kredenzt. Zum ersten Mal in einem tätigen Leben sprang die Türe auf zu dessen Hintergrund, erhob sich der Wunsch, nichts zu tun, sondern am ganzen Körper gleichsam nur Augen zu haben und geheilt zu werden durch das, was sie aufnahmen, was durch sie flutend hereinstürzte. Er verließ den Speisesaal, ging über den Flur, geriet unter dieselbe offene Türe, in der vorhin Melzer gestanden war, und unversehens in die Schank zu den Bauern. Das war die gute und sichere Führung vom Unbewußten her, welches jetzt für Augenblicke durch den Einsturz des Oberbaus und der Aufbauten bloßgelegt war. Entschlossen, zu bleiben und zu sehen und auszukosten, um sich gleichsam frei zu hauen für den Rückzug, für einen vollständigen und endgültigen, fand er hier die harmlose und gnädige Überbrückung der noch bestehenden Kluft zwischen einer tief ihn anwandelnden Schwäche und dem Entschlüsse, sich um der Freiheit willen nichts zu ersparen. Hier waren die ersten Tropfen des Heiltranks: ein steirischer Sliwowitz. Er hielt den Magen nieder. Der Generalkonsul trank stehend vier Gläschen am Schanktisch und der Bursche dahinter schenkte sie wohlmeinend ein, innerlich befriedigt darüber, daß auch vornehme Herren dies heimische Getränk nicht verschmähten, darin der Schutzgott der Zwetschgenbäume wohnte, der's zugleich auch war gegen große und kleine Leiden des Leibes und der Seele. Zwischendurch fragte Fraunholzer, ob sie auch Champagner vorrätig hätten. Dies schmerzvolle Fest der Freiheit mußte ja gefeiert werden. Da sogar ein Franzose freundlich wartend in den Fächern saß, ließ er gleich einkühlen, aber nicht etwa half a bottle (war man denn beim Frühstück?!) sondern gleich fünf Ganze.
Nun gut.
Pompejus, omnibus bene cognitis rebus, dedecus putasset, si quidem clade imperfecta rem reliquisset: sed eo magis nunc animum adversit. Anders: Pompejus verließ nicht – wie jener Gnaeus bei Pharsalus – angesichts der sich vollendenden Niederlage das Schlachtfeld. Kein Zweifel: angesichts des ganzen Gekrabbeis und Gequabbels und der psychologischen Brenzlichkeiten aus solchen Häferln wäre, zur Regulierung und um das Besondere in seine Schranken zu weisen, römische Prosa am besten anwendbar. Jedoch, wo käme man da andererseits hin?! Aus der Naturalistik in den Klassizismus. Alias: zur ungebührlichen Vereinfachung. Wir können nicht mehr in römischer Quadrata schreiben. Gut schaun wir aus.
Hierdurch wurde, alles zusammengenommen, folgende Situation geschaffen: sechs Personen traten annähernd gleichzeitig an den Tisch, nämlich: der Doktor Negria und Angelika Scheichsbeutel, welche beiden der jüngere Enkel des Ministers von ihrem Tische herüber zur Gesellschaft brachte, ferner Fraunholzer, und unmittelbar nach ihm Etelka und Karl. Bald danach kam der Champagner. Die Wiederkehr Etelkas und Karls befand sich durchaus jenseits der Grenze des Möglichen, weil der nicht lange, aber sozusagen unglücklich bemessene Zeitraum ihres Ausbleibens geradezu provozierend wirkte (sie hatten ihn lediglich dazu benutzt, um den zunehmenden Mond anzukälbern). Etelka aber leistete es sich, Fraunholzer seine plötzliche Ankunft übel zu nehmen, sie fühlte sich gestört und gleich bei der Begrüßung glacierten sich ihre Züge in jener Weise, die wir drei Wochen vorher schon Gelegenheit hatten zu beobachten, nämlich anläßlich der Lagebesprechung mit Asta auf dem begrünten
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