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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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Passanten sie kreuzen und verwischen und vertreten. Nähmen die Wälder solchermaßen erlösend und gnädig in sich hinüber, was hinter uns bleibt: wir begegneten nie mehr den starr gewordenen Einzeldingen am einstigen Weg im hellen Lichte des Tags, sondern sie blieben im Grün begraben und versunken wie tief unter Wasser und unsere Wege wären nicht besäumt von den Dornenhecken äußeren Erinnerns, die zugleich dicht und undurchdringlich vom Gewesenen trennen, und stechen und verletzen, wo man in sie einzudringen sucht: wozu es uns doch treibt. Und Melzer sah durch Sekunden die Strudlhofstiege nicht nur tief in's Unterwasserlicht ihres grünen Blätterschattens versunken, sondern allenthalben überwachsen von Gras, Kraut und Busch und das kleine gelbe Palais rechts oben gleichsam zusammengebröckelt bis auf zwei Fuß hohe Steinmäuerchen, wie in italienischen Weinbergen. Und links oben, wo das weiße Palais eines Außenministers unseligsten Andenkens einst stand, dort war Wald. Hohe Stämme schon. Tiefer Wald.
    Asta kam zurück. Sie berichtete kurz und sachlich, Etelka habe nur die Achseln gezuckt und gesagt: »Er wird schon wiederkommen. Übrigens fahr' ich nach Pest. Und zwar spätestens in einer Woche.«
    Es war in diesen Augenblicken, daß Melzer wörtlich dachte:
    »Hier wird es noch mancherlei harte Abstiege geben.«
    Das Wiedersehen mit den alten Herrschaften war für Melzer geradezu entzückend gewesen.
    Der alte Adler hatte aufgesehen, den rechten Fang bewegt und die Fittiche ein wenig gelüpft, als wollte er sich erheben; aber das konnte er ja gar nicht mehr.
    »Na also! Das freut mich, mein Lieber, freut mich sehr, Herr Major – oder? Noch weiter avanciert? Und jetzt? Wie haben wir's denn?!«
    »Jetzt bin ich ein Amtsrat«, sagte Melzer, bescheiden lächelnd. »Na, wir bleiben schon beim Major, Verehrtester! Set zen Sie sich doch ein bißl zu mir. Wie ist denn das jetzt im Zivil?«
    »Ich glaub', das Militär ist für's Zivil eine ganz gute Vorschule.«
    »Hm, kannst recht haben. Kannst recht haben, mein Sohn. Also sollt' man doch die jungen Leut' alle wieder dienen lassen?«
    »Gott behüte!« rief Melzer, beinah erschrocken über diese Folgerung. »Ich meine nur: wenn einer schon beim Militär hat sein müssen, so hat er davon wenigstens diesen einen Vorteil.«
     »Ah ja, verstehe; in Ordnung, stimmt.« Er betrachtete Melzern mit Wohlwollen. Dessen bescheidene, aber feste Art schien ihm zu gefallen. Die Frau von Stangeler trat ein und brachte einen Sliwowitz, aus den Früchten hiesiger Zwetschgenbäume gebrannt; und derselbe Gott, welcher gestern den wankenden Pompejus in der Schlacht gestützt, erwärmte nun Melzern zuinnerst.
    Aber die Nachricht, welche Asta jetzt auf die grüne Fläche des verwachsenen Tennisplatzes gebracht hatte, schien dem Major gleichsam das Versteinerte und Unverbesserliche der ganzen Lage anzuzeigen. Er sagte auch nichts; er sah vor sich nieder auf den Teppich der niederen Grashalme zwischen dem Kies. Einzelne bunte, weiße und gelbe Gewächse standen dazwischen. Da und dort war's zu sehen, wie die stumm wirkende Kraft des Wuchses der Pflanzenschäfte flache Steinchen gehoben, die gepreßte Decke zerteilt hatte. Wieder war's Melzern, als schwimme dies auf Wasser. Seerosen hätten ihn augenblicks nicht verwundert; in seiner innersten, nicht kontrollierten Vorstellung war der einstmalige Tennisplatz jetzt mindestens einige Meter tief. Sie hatten indessen die Böschung umgangen und oben auf einer der Bänke Platz genommen, die es hier noch gab, wenn auch bemoost und schon wackelig.
    Plötzlich sah er sie entlang gehen, Editha, im weißen PiquéKleid, auf der drüberen Längs-Seite des Platzes, der jetzt war wie früher, mit dem leuchtenden Weiß der Linien in der Sonne, geschnitten vom quergespannten Netz, umgeben auch von den hohen Fangnetzen, die zwischen Masten gespannt waren, denn jeder verschlagene Ball wäre hier weit den Berg hinab geflogen. Ja, sogar der leichte und reine Geruch vom Teer, mit welchem man diese Netze konservierte, war in der Sonne zu spüren.
    »Denken Sie noch dann und wann einmal an die Strudlhofstiege?« fragte Melzer rasch, nur um sozusagen mit seiner Vision nicht allein zu bleiben: ihm war beinah zu Mute, als hätte er am hellichten Tag ein Gespenst erblickt.
    »Eben jetzt hab' ich daran gedacht«, sagte Asta, ohne den Kopf gegen ihn zu wenden. Sie schaute auf den Berghang gegenüber.
    »Die Editha Pastré«, sagte Melzer. Sonst

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