Die Strudlhofstiege
nichts.
»Merkwürdige Freundinnen hat man gehabt«, entgegnete Asta nach ein paar Augenblicken, den Blick immer noch auf der Lehne drüben, die, unten Feld, oben Wald, jetzt in blanker voller Sonne lag.
»Es war mehr der Ingrid zuliebe«, fügte sie hinzu.
»Und zu Leide, schließlich«, sagte Melzer.
»Kann man nicht sagen«, entgegnete Asta, ruhig, ja etwas träge im Ton, als betrachte sie ganz beiläufig ein sehr Entferntes und Abliegendes. »Denn die Pastré hätte die Geschichte mit dem alten Schmeller damals genau so inszenieren können, auch wenn sie mit mir gar nicht befreundet oder im Umgang gewesen wäre.«
»Ja«, sagte Melzer lebhaft, »sie hätte es wohl können, aber sie wäre aller Wahrscheinlichkeit nach nicht auf diesen Gedanken gekommen, wenn sich nicht hier auf der Villa in den vorhergehenden vierzehn Tagen die Wut wegen Semski in ihr angesammelt hätte. Die zwei waren ja immerfort vor ihren Augen.« »Da können Sie recht haben«, sagte Asta gleichmütig und abschließend. Sie fand Melzern jetzt seltsam oder befremdlich. Seine Nähe zu jenen heute gänzlich belanglosen Einzelheiten der Vergangenheit war durch einige Augenblicke von ihr als über das Maß des eigentlich dem Gegenstande Angemessenen hinausgehend empfunden worden. Nicht selten zwar hatte sie im Lauf der letzten Jahre bemerkt, daß manch einer von den jungen Leuten, die einst hier Haus und Garten bevölkerten, mit lebhaften Erinnerungen noch immer in diesem Grunde ankerte, was oft sehr bald zum Vorschein kam, wenn einem so einer von ehemals da oder dort begegnete. Melzer dahingegen, welcher sich alsbald kombinierend in die längst überlebten Details hatte einlassen wollen, schien ihr diese Sachen wie ein Spezialist zu behandeln, was Asta beinahe mit einem Gefühl der Sinnlosigkeit und Langweile anwehte. Ihr damaliger Verkehr mit der Pastré nun verwunderte sie allerdings jetzt und heute noch; er hatte sich wohl aus dem vertrauteren Verhältnis zu Ingrid ergeben, deren engste Freundin Editha war; zum Teil aber auch, und das empfand Asta jetzt lebhaft, war es eine jener Ablagerungen und Einschiebungen gewesen, denen ein erst spät zur Selbständigkeit und Abhebung von der Umwelt gelangtes Bewußtsein in der frühen Jugend nicht wehrt, so daß Fremdes und Befremdendes sich bis zu bedeutender Höhe übereinander schichten kann und mit seinem Gipfel schließlich herüberragt in ein längst helleres Dasein, dessen Licht nun das Ganze in's Erstaunliche rückt. Freilich wußte sie, daß ihr trotzdem die Pastré stets unangenehm gewesen war, schon in der Schule, im Lyzeum. In jene Luitlen'sche Anstalt war Asta Stangeler erst auf der Oberstufe und im letzten Jahre des Unterrichtes eingetreten, und hier hatte sie Editha in einem gewissen Ruhme stehend angetroffen, den es auch in der Schule gibt, sei es, daß ganze Klassen ihn erwerben – dadurch, daß sie besonders viele und talentierte Frechdachse enthalten – oder einzelne, als Vorkämpfer mit geglückten Streichen. Der Pastré ging damals voran, daß sie einst mit ihrer inzwischen verstorbenen Zwillings-Schwester die Lehrerschaft in noch nicht dagewesener Weise wiederholt überlistet habe, und sonderlich die Baronessen Buschmann wußten solche Geschichten. Jetzt dachte Asta flüchtig daran. Dann wechselte sie den Gegenstand des Gespräches. Der Major aber, als sie von Etelka zu sprechen begann, äußerte hierzu fast nichts. Solche Kargheit in der Unterhaltung über diesen Gegenstand entsprang jedoch keineswegs mangelnder Teilnahme: sondern seiner Durchdrungenheit von einem fast unabweisbaren Wissen, daß diese Sache abgeschlossen sei, als wäre da ein Brett gefallen oder eine Glaswand wie bei einem Schalter. Das lag in ihm wie ein Stein, von dem nichts weg geschlagen, an welchen nichts angefügt werden konnte.
Mittags erst war's, daß er den Vater des Hauses eigentlich als gealtert erkannte: die umständliche Art, wie der alte Mann, gestützt von dem Mädchen, hereingebracht und in seinen Armsessel behutsam niedergelassen werden mußte, machte es für Melzer erst augenfällig; und jetzt sah er auch das wenige Grau im Haar und Barte. Jedoch mit dem ersten Aufblitzen des Aug's, dem ersten gesprochenen Wort, war der Eindruck wie der verschüttet. Während man Platz nahm, fehlte noch Etelka. Melzer sah ihrem Erscheinen mit Spannung, ja eigentlich mit Neugier entgegen. Aber diese Züge, während so vieler familiärer Mahlzeiten im Darbieten geordneter Oberfläche geübt, ließen sich das
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