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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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Ausweg. Die Ohren zurücklegend sorgte sie zunächst für ein nur wenig aufmerksames, ja fast abwesendes Gebaren während dieses Berichts, und spät erst warf sie eine oder die andere Frage ein: und wurde so der Umstände gewisser. Kein Zweifel, hier war einzugreifen, hier stand für Mädi Küffer die Entscheidung vor der Türe: und eine einma lige Gelegenheit zugleich, daß alles sich zum Besten wende. Aber auch zu einem endgültigen Gegenteil, wenn Frau Lea in ihrer fehlerhaften Haltung dem Generalkonsul gegenüber auch jetzt und – wahrhaft! – zur Unzeit verharrte, darin gleichsam erstarrt und eingefroren, wie sie war.
    Am liebsten wäre Mary gleich hier in die Klubräume und zum Telephon geeilt. Wie eine physische Veränderung an ihr selbst oder einen Wechsel der Umgebung und Atmosphäre – so etwa, wie die Dekoration am Theater wechselt – empfand sie jetzt ihre befestigtere, ja gleichsam auf ein anderes Brett gehobene und verschobene Stellung Negria gegenüber, hier und jetzt auf der breiten Allee, auf dem Kiese, vor dem blassen Perlgrau des Palastes dahinten. Sie hatte nun eine Aufgabe und Negrias Rolle dabei war eine nur dienende gewesen. Als er den Wunsch äußerte, sie bis nach Hause begleiten zu dürfen, beutelte sie ihn unter irgend einem Vorwand ab. Und dies sogleich und ohne zu überlegen, rasch und glatt. Dahinter öffnete sich tief in ihr für einen Sekundenbruchteil eine Art von jetzt leerem Raum: mit Verwunderung.
    Wie's manchmal geht, wenn man holterdiepolter über die Trópoi fährt und sich selbst dann gleichsam wieder einholt.
    Dies war nun der zweite Alarm in bezug auf die Generalkonsulin. Jetzt empfand Mary beinah schlechtes Gewissen, wenn sie an die Zeit vor dem Hochsommer dachte und an Grete Siebenscheins gelegentliche Äußerungen, daß es mit der Liebe Etelka Grauermanns zu Fraunholzer im Grunde vorbei zu sein scheine. Damals schon, so meinte sie jetzt in ihrem Eifer, wäre Mädi-Lea zu unterrichten, aus ihrer Starrheit zu lösen, in Schwung zu bringen gewesen. Jetzt aber schien ihr ganz offenbar die letzte und eigentliche Gelegenheit da zu sein: und gerade unter solchem Lichte durfte, konnte und wollte ihr nunmehr das überraschende und fast seltsame Wieder-Zusammentreffen mit Negria erscheinen. Er war nur ein Botengänger des Lebens, ein Überbringer wichtiger Nachrichten zur richtigen Zeit! Und genauer Nachrichten, nicht einer bloßen beiläufigen Meinung, wie Grete. Auch daß Fraunholzer am Morgen nach seiner Ankunft sogleich wieder abgereist war hatte der Doktor vermerkt und erzählt. Und wohin war er damals gefahren? Nach Wien oder Belgrad? Oder: gar nach Gmunden?
    Sogleich als sie heimgelangt war – um die enge Spindel der Stiege, darin der Lift stand, und um alle Quasten und Schnüre und Messingringe an den Wänden herrschte die kalkige Leere eines bleichen ausgestorbenen Schneckengehäuses – sogleich also eilte sie zum Telephon, das sich im Schlafzimmer neben den Betten befand. Ein Blitz fiel über ihren Weg. Marie hatte die Tür zur Küche geöffnet, darin die Abendsonne lag, und grüßte: von den jungen Herrschaften sei noch niemand zuhaus, sagte sie. Die weiße Flauschjacke glitt auf Marys Bett. Auch hier war die Sonne. Dieses Zimmer lag als einziges außerhalb der Flucht, in welcher sich die anderen reihten, es hatte ein breites Fenster nach rückwärts, gegen einige bescheidene Baumkronen vor zum Teil fensterlosen Mauern der Höfe. Frau Mary stellte die Verbindung zu dem Küffer'schen Familienhause in Döbling her. Dort aber war, wie alsbald klar wurde, nur ein Faktotum anwesend; die Mutter und die nächste Küffer'sche Generation – letztere in Gestalt der jüngeren Schwester Leas, mit deren Kindern eben Bub und Mädel Marys im Verkehre standen – weilten noch zu Wolkersdorf, was wegen des nah bevorstehenden Wiederbeginnes allen Unterrichts auch in den höheren Schulen erstaunlich und Mary fast etwas allzu gemütlich erschien. Die Haushälterin wußte freilich alles, worauf es jetzt ankam: daß ›Frau Mädi‹ in Gmunden befindlich und der Herr Generalkonsul auch dort gewesen sei; ob er nicht inzwischen schon wieder nach Belgrad abgereist wäre, das sei ihr unbekannt. Aber die Frau Generalkonsul werde wohl in Wien erwartet, für einen kürzeren Aufenthalt wenigstens, etwa nach Mitte des September. Von dem Aufenthalte des Herrn Generalkonsuls in Gmunden allerdings habe zunächst ›niemand eine Ahnung gehabt‹. Nun gut. Frau Mary ließ für jeden Fall

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