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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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aufschreiben, daß sie einen telephonischen Anruf der Generalkonsulin sogleich nach deren Eintreffen in Wien dringend erbitte. Dann entschloß sie sich freilich zu einem Brief; und ging unverzüglich an's Schreiben, vorne im Gesellschaftszimmer, wo ihr kleiner Sekretär stand, dessen Fächer, wie auch die Schreibplatte, alle mit kleinen oder größeren Roll-Lädchen zu verschließen waren, weshalb dieses Möbel immer ordentlich aufgeräumt und glatt aussah. Als nun das Mädchen mit dem Teebrett eintrat, dachte Frau Mary in aller Ruhe, daß sie wohl auch hätte mit Negria hier den Tee nehmen können. Danach: vielleicht wäre noch dieses oder jenes von ihm zu erfahren gewesen. Der Brief geriet nicht. Er konnte nicht geraten, und dies hätte sie gleich wissen sollen. Eindringlichkeit war hier nur in mündlicher Unterredung zu erreichen, die ganze Erzählung auch zu umständlich. Sie schloß damit, wenige Zeilen zu schreiben, und die bei der Haushälterin schon deponierte Bitte an Lea auf das entschiedenste zu wiederholen. Und einiges zwischendurch: von den Wochen in Velden am See, von den Kindern. Ein Fenster war offen. Aus den leeren Gassen kam das Schreien ballspielender Buben fast wie ein ununterbrochener, stehender Ton. Das Bild, welches die Paula Pichler, geborene Schachl, sich sehr bald und unbedenklich von dem Rittmeister Eulenfeld gemacht hatte, könnte man eine bloße Schwarz-Weiß-Zeichnung nennen: und mehr Schwarz als Weiß. Zu einer Nachprüfung ergab sich weder Gelegenheit, noch war danach ein Bedürfnis vorhanden. Ihr genügte es hier, Partei zu sein nämlich für Thea Rokitzer – und sie war's ganz. Daß sie den Rittmeister nie zu Gesicht bekam und ihn nicht persönlich kennen lernte, wirkte hier förderlich. Denn anders hätte zweifellos die Möglichkeit bestanden, daß seine, von Liechtenthal aus gesehen, exotische Erscheinung und Sprache, sein Charme und seine liebenswürdige und nachlässige Eleganz auf sie zur Wirkung gelangt wären, damit die Eindeutigkeit ihres Verhaltens mindernd; und sie wäre zweifellos fähig gewesen, nicht nur Eulenfelds Intelligenz, sondern auch die anderen Qualitäten des Mannes wahrzunehmen, nicht zum letzten seine Fähigkeit zur Freundschaft, und gerade zu einer solchen für Melzer, in bezug auf welchen bei Paula eine umgekehrte Voreingenommenheit, nämlich die allergünstigste, bestand. Sie fühlte sich zu diesem ebenfalls Unbekannten geradezu hingezogen. So indessen blieb für Paula Pichler der Rittmeister einfach ein verdächtiger alter Lump, der die Liebe eines Mädchens wie Thea nie verdient hatte und sie obendrein noch kränkte und quälte, ja für dunkle Zwecke auszunützen schien.
    Denn eben damals, nachdem man am Freitag Thea vom Westbahnhof abgeholt hatte, kam sie am Montag nachmittag in mehr als gedrückter Verfassung im Gärtchen an. Und hier erfuhr nun Paula alles, was sich inzwischen bei Thea begeben hatte, nicht eben wenig, für deren Begriffe. Bei allem herzlichen Mitgefühl sah die Pichler sich zugleich nicht ohne Ver gnügen in diese ganzen Zusammenhänge hineingestellt und (wie sie vermeinte) in deren Mitte sitzend wie die Spinne im Netz. Auf ihr Beisammensein mit René, das für den frühen Nachmittag des Mittwoch vereinbart war, freute sie sich mit besonderer Lebhaftigkeit und Neugier. Man wollte einander um drei Uhr in jenem ›Café Brioni‹ treffen – wo sich vor vierzehn Jahren der Konsular-Akademiker Pista Grauermann der Einsamkeit hingegeben hatte, dabei zu einer gewissen Selbständigkeit gelangend und zu Gedanken oder Vorstellungen, die ihm heute wahrscheinlich als extravagant erschienen wären. Paula Pichler war mit dem Orte, der ihrer Wohnung ja nahe lag, gleich einverstanden gewesen. Für René fügten sich diese Umstände auch weiterhin bequem. Denn um fünf Uhr sollte er ja Mittwochs in die Luftgondel steigen, heißt das: bei Editha Schlinger den Tee nehmen. Es war Gretes stark besetzter und beschäftigter Nachmittag. Und ein solcher wurde es bei Stangeler am Ende auch. Bezüglich Paulas darf nicht unerwähnt bleiben, daß ihr Mann, der Werkmeister, von allem und jedem wußte, auch von den gedoppelten Damen und der bevorstehenden Zusammenkunft seiner Frau mit dem Jugendfreunde René. Er tat neugierig und belustigt mit.
    Zwei Steine waren es, die rasch nacheinander, als ein doppelter Schlag, jene geglättete Oberfläche bei Thea zerissen hatten, die ihr durch den halb unfreiwilligen Landaufenthalt trotz allem eben geschenkt worden war und

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