Die Strudlhofstiege
schließlich auch durch die viele und zeitweise aufreibende körperliche Arbeit; diese hatte man ihr dort mit der allergrößten Selbstverständlichkeit zugeschoben, von Seiten ihrer Tanten nämlich, des St. Valentiner Zihaloids sowohl wie der Frau Amtsrat: und die letztere war dabei noch lebhafter hinter ihr her gewesen als die Haus frau selbst. Betätigungen dieser Art aber sind aufreibend oft mehr im wörtlichen als im übertragenen Sinne: und wenn die verwitwete Gaskassierin etwa die Gelegenheit von Theas Anwesenheit dazu benutzte, um im Hause endlich wieder einmal alle Fußböden blank zu kriegen – wozu die Tante Rosa ihr riet, solchermaßen eine Kompensation für den eigenen Aufenthalt auf Kosten der Nichte bietend – so hat man damit das beste Beispiel. Und noch mehr wie beim Unkrautjäten im Garten oder beim Abnehmen, Putzen und Einsieden der Stachelbeeren, überlagerte die in den ersten Tagen des Bodenaufreibens sehr revoltierende Aussage eines gekrümmten Rückens alle aus Wien hierher importierten feineren und in jedem Sinne tiefer sitzenden Schmerzen. Die einzige Gegenbewegung, welche Thea Rokitzer de facto während dieser ganzen Zeit auszuführen vermochte, war die immer wieder erneut vorgenommene Pflege ihrer Hände, der sie abends vor dem Schlafengehen insgeheim in ihrer Kammer oblag. Diese allabendliche Gegenbewegung aber zeigte an, worauf Thea sich im Grunde ihres Herzens täglich zu bewegte: nämlich auf den 29. August, vormittags, und ihre für diesen Tag bevorstehende Vorstellung bei der Film-Agentur; was in Theas Vorstellung wirklich schon so etwas bedeutete wie eine Vorstellung, welche sie zu geben haben würde, den Einsatz ihrer ganzen Person zur Eroberung einer Vor-Stellung, von wo aus eine große Laufbahn erst beginnen sollte. Darauf lebte sie zu. Wie in den Mund eines Trichters hinein, der sich immer mehr und ganz um diesen vom übrigen Leben nun schon scharf abgesetzten Lichtpunkt verengte, so wie man den fernen Ausgang eines Tunnels oder Stollens sieht, den man nicht aus dem Auge läßt, weil's hier nur hindurch und hinaus zu gelangen gilt. Aber gerade vor diese Mündung fiel der erste Stein, verschloß sie und alles ward finster. Denn was am Samstag, dem 29. August, sich vormittags abspielte – unter Hinbringung und Darbringung eines ganzen und wohl vorbereiteten Seins von Seiten Theas – dauerte drei Minuten, während welcher man kaum zu einigen Bewegungen und gar nicht zu den wohleinstudierten Worten aus klassischen Dramen gelangte, und zudem teilte man diese unausführliche Blitz-Episoden-Rolle mit Dutzenden von anderen Mädchen, bei denen auch nicht mehr herauskam, als daß ihnen geschäftsmäßig gedankt und daß sie abgewiesen wurden und danach vor dem Hause auf dem Gehsteig noch durch ein oder zwei Minuten in einem Grüppchen beisammen standen, Fremde mit Fremden, einander im Grunde ohne Ausnahme unangenehm, zusammengehalten nur durch die Verschüttung des von jeder einzelnen erstrebten und jetzt verlegten Lebensrinnsals, davor sie sich nun in gemeinsamer Verlegenheit für ein Kurzes stauten, bis jedes Wässerlein seinen Faden ausweichend darum herumführen würde, weil's nun einmal so und anders nicht war.
Der zweite Stein fiel am selben Samstage fünf Uhr nachmittags. Es erschien Hedwig (Hedi) Loiskandl, Paula Pichlers achtzehnjährige Stiefschwester und einstiges Pflegekind, in der elterlichen Wohnung hinter der Papierhandlung Rokitzer, Alserbachstraße Nummer … (wir wissen die Hausnummer so wenig wie Melzer) und verlangte Thea zu sprechen, welche in hoffnungslosem Zustande sich in jenem Zimmer aufhielt, darin das bekannte große Büffet stand. Die Eltern waren beschäftigt und wiesen Hedi hinein. Thea ahnte schon nichts Gutes, als sie das wenig hübsche Mädchen, welches man sonst selten zu sehen bekam, hier unvermutet bei sich erblickte. Da das Ungewöhnliche des Besuches, und obendrein gleich am Tage nach Theas Ankunft, nicht zu verdecken war, zog Hedi es vor, mit der Tür ins Haus zu fallen, begrüßte Thea innig und erklärte im selben Atem (lügend), durchaus ohne Wissen der Tante Oplatek und schon gar nicht etwa in deren Auftrag zu kommen: was von unserer zuinnerst ganz wo anders herumvagierenden Thea ja keineswegs behauptet worden war und zunächst überhaupt nicht begriffen wurde, denn seit Stunden sah sie sich (trotz ihres Mißerfolges) im Geiste nur als einen hell leuchtenden Kometen auf großer Laufbahn enteilen und ganz dahinten den Rittmeister, der ihr aus
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