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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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zu Knöpfen erloschenen Äuglein nachblickte (aus solchen, wie er sie hatte, wenn er besoffen war). Nun freilich ging ihr ein anderes Licht auf. Die Tante war in Unruhe wegen der Zigaretten. In der Zeitung sei neulich wieder was von großen Entwendungen und Schmuggeleien gestanden, die Polizei schien dahinter her, Fräulein Oplatek fühle sich eigentlich zu einer Meldung verpflichtet an zuständiger Stelle, darüber, daß man vor der ›Fassung‹ im Juli durch sie ein so auffallend hohes Quantum zu erhalten getrachtet habe, und auch wer das gewesen sei und so weiter. Nun befinde sich aber Thea, ›mit diesem Herrn in einer Beziehung‹ und die Tante fürchte sehr, daß da noch große Unannehmlichkeiten in der Familie entstehen könnten, denn man wisse schließlich nicht, inwieweit Thea mit den Sachen zu tun habe und mit dem Herrn Eulenfeld überhaupt. Am gescheitesten wär's doch (meinte die Loiskandl), wenn Thea ihr ruhig sagen würde, wie es mit alledem sich wirklich verhielte (sie gebrauchte nicht geradezu die Redensart ›reinen Wein einschenken‹), damit sie die Tante für jeden Fall beruhigen könne. Ja, ihr scheine sogar, daß diese, welche sich in übermäßiger Ge wissenhaftigkeit quäle, noch eher und erst recht von der ganzen Geschichte mit der zu erstattenden Meldung und so weiter abkommen würde, wenn sie einmal wüßte, daß Thea damit nichts zu tun habe.
    Das Letzte war so dumm nicht. Die Redeweise der Loiskandl war eine solche, die Unsauberes bei Thea mit Sicherheit voraussetzte, um es dann in unterstrichener Weise zu schonen. Aus diesem Grunde wurde auch die Redensart vom reinen Wein nicht gebraucht. Dieses Gesicht, das um nichts intelligenter war wie jenes Theas – und beide Larven, so wagen wir zu behaupten, saßen vor einem kaum vorstellbaren Vakuum – dieses Gesicht der Hedi Loiskandl, dem freilich das Leben von vornherein ein anderes Gesicht entgegen gehalten hatte als der Thea Rokitzer auf ihrem vom Reflex der eigenen Wirkung stets belichteten Wege, dieses junge, aber keineswegs sonderlich hübsche und schon gar nicht regelmäßige Antlitz hatte in seinen Vertiefungen einigen sumpfigen oder fettigen Schatten gestattet sich anzusammeln, derart, daß für Liebhaber solcher Sachen (und zu diesen gehörte offenbar Hedis strebsamer Bräutigam) schon ein gewisser, ja sogar sehr starker Reiz darin liegen konnte; etwa ein gerade gegenteiliger wie jener, den Grauermanns Ordentlichkeit und kurze grade Nase für die Kammersängerin Wett hatten. Im übrigen wird man nicht nur aus einem vernünftigen, einzusehenden Grund, sondern auch aus guten Gründen ein ›Kieberer‹ (wie man zu Wien solche Polizei-Leute nennt). Von Hedi hinwiederum aber kann man nicht sagen, daß sie sich hier in dem sterilen Hinterzimmer mit dem Büffet eigentlich polizeilich benahm; denn was sie zu erhalten wünschte, so schien es, war keineswegs ein Schuldbekenntnis, sondern im Gegenteile eine Art Blanko, nämlich die ausdrückliche Erklärung, man habe mit der ganzen Sache nichts zu tun und man wisse auch nichts Näheres.
    Und was blieb Thea jetzt schon anderes übrig, als diese Wahrheit zu sagen, überrannt von Hedi Loiskandl und damit diese auf die einzig mögliche Weise wieder überrennend, nicht zuletzt auch zur Beruhigung der Tante Oplatek? (Denn Hedis obige psychologische Theorie, die leuchtete ihr ein.)
    Dem ganzen unvermuteten Auftritt aber lag ein Regie-Fehler Paula Pichlers zugrunde. Man darf sich in dieser tabakanrüchigen Sache so ausdrücken, wenn auch in einem veränderten Sinne. Etwa zehn Tage vor Theas Ankunft war die Loiskandl im Schachl-Häuschen oder eigentlich im Gärtchen bei Paula erschienen, in der gleichen Angelegenheit und – wie sie hervorhob – im Interesse Theas um Rat und Auskunft bittend. Sie hatte dabei insoferne Glück, als Paula Pichler eine Gegenfrage unterließ, die ihr wohl durch den Kopf ging, die sie aber nicht aussprach, deshalb vielleicht, weil sie ihr zu direkt erschien (ähnlich wie jetzt der Loiskandl die Redensart vom reinen Wein): wie und warum nämlich Hedi plötzlich zu der Frau oder eigentlich dem Fräulein Oplatek auf die Josefstadt gekommen sei, die sie doch des Näheren kaum gekannt habe? Dieser Punkt fiel Paula Pichler auf, nicht aber der Rokitzer in ihrem filmisch geminderten Zustande. Hedi hätte auch hier gelogen, aber wahrscheinlich doch nicht prompt und fließend genug. Denn was dahinter steckte, wäre in Wahrheit den Schachls gegenüber peinlich gewesen: nämlich Frau

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