Die Strudlhofstiege
oberflächlich und sozusagen nur der Form halber durchgeführt, wurden weiter nicht fortgesetzt. Sie ging auch bald und ließ in Thea oder an Thea so etwas wie einen Schmutzstreifen zurück, nicht zuletzt durch die ganz am Ende noch faul vorgebrachte Frage, wer denn dieser Eulenfeld überhaupt sei? Eine derartige Frage nach dem Gegenstand seiner Liebe an einen Liebenden gerichtet, ist deshalb ungeheuerlich, weil in dem Befragten sich dabei die Ahnung rühren muß, daß er von allen Menschen am allerwenigsten imstande wäre, darauf eine Antwort zu geben. Thea tat's auch nicht. Nachdem die Hedi noch diesen letzten Patzen hatte fallen lassen, ging sie ab, und zwar durch die saubere Küche. Hier war Frau Rokitzer. Ihr sagte Hedi Loiskandl noch schnell und leise das Resultat der Unterredung und daß sie für ihr Teil nun dessen gewiß sei: Thea habe mit der Sache nichts zu tun. Aber der Herr Baron Eulenfeld? Der vielleicht. Kann aber sein, daß er wirklich nur einen Vorrat für sich persönlich haben wollte. Bezüglich Theas werde sie die Tante beruhigen. Und überhaupt, soweit das möglich sei.
Es war unmöglich: denn die Tante Oplatek hatte sich wegen dieser Dinge gar nie aufgeregt. Sie hatte nur beiläufig nach Thea gefragt und dann der Loiskandl von deren Besuch im Juli und dem für einen Baron Eulenfeld gewünschten großen Posten von Tabakwaren erzählt, sich dabei in aller Ruhe mit einer langen hölzernen Stricknadel am Hinterkopfe kratzend. Sie habe, so fügte sie hinzu, die Bestellung abgelehnt, weil eine Trafik ein Detailgeschäft sei. Auch als Hedi sie auf die Entwendungen und Schmuggeleien, von denen in der Zeitung zu lesen wäre, hinwies, machte ihr das zunächst keinen besonderen Eindruck. »Um so besser«, sagte sie, »wer weiß, wofür die Zigaretten bestimmt waren. Oder die Virginier. Die werden besonders gern geschmuggelt. Um so besser, daß ich's nicht übernommen habe. Wär' doch auffallend gewesen.« Aus der Zeitung wußte sie von den Sachen nichts. Es gibt Menschen, wel che den ganzen Tag die Zeitungen in der Hand haben, die man aber höchlich überrascht, wenn man ihnen etwas von dem sagt, was darin steht: sie haben davon nichts gesehen, nichts gelesen. Woraus hervorgeht, daß die Zeitungslektüre bei ihnen keineswegs die Funktion einer Kenntnisnahme hat, sondern eine Art physiologischen Vorgang darstellt: sie steht mit den Absenzen, Digestionen und Evaporisationen im Zusammenhange und alles in allem mit der Schläfrigkeit. Eine TabakTrafikantin, die nicht weiß, was in der Zeitung steht, erscheint nur auf den ersten Blick paradox, auf den zweiten jedoch natürlich. Zum Beispiel wußte auch die Thea Rokitzer nicht, »wer denn dieser Eulenfeld überhaupt sei«, wenngleich sie doch in der Materie ebenso lebte wie eine Trafikantin mit den auf dem Ladentisch gestapelten Blättern. Nun, die Loiskandl ließ aber nicht so bald locker, in dem Zimmer hinter der Trafik, wo es übrigens recht gemütlich war und sogar kühl, denn die Fenster gingen auf einen schattigen Hof. An diesem Hof oder Hausgarten, der mehrere alte Bäume umschloß und dessen schöner Rasen von gekiesten Wegen durchzogen war, hatte ein Photograph seine Werkstatt oder sein Atelier, wie man das zu nennen pflegt, wodurch jene Tätigkeit einen Stich in die bildende Kunst hinüber bekommt.
Und in der Tat, man kann sagen, daß allem, was in den breiteren Schichten unter der Kunst und dem Künstler vorgestellt wird, im Grunde allein ein Photograph voll und ganz zu entsprechen vermag; fundamental schon dadurch, daß sein Leben und seine Tätigkeit offen und zugestandenermaßen auf die Hervorbringung von Werken zweckhaft gerichtet sind, welche Zumutung und Festlegung jeden Künstler sogleich kopfscheu machen würde. Unser Meister hier nun, ein spitzbärtiger, lan ger und ironisch-hintergründiger Mann, der seltsamerweise den gleichen Familien-Namen trug wie einer der hervorragendsten englischen Seehelden, benutzte nicht selten den Garten für Freilicht-Aufnahmen, wozu erforderlichen Falles auch ein hübsches Gartenhäuschen (Salettl) als Hintergrund diente. Und so geschah denn mitunter dort rückwärts Interessantes, ja sogar für Fräulein Oplatek Aufregendes, weil es zum Beispiel Brautpaare gab, die sich an ihrem Ehrentage und in ihrem Hochzeits-Staate nicht nur im bleichen Oberlichte des Ateliers, sondern auch im Grünen festgehalten wissen wollten. Da der Zugang zum Photographen durch den Hausflur führte, der unmittelbar neben der Trafik
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