Die Strudlhofstiege
lag, so wußte Fräulein Oplatek oft schon im voraus von solchen Veranstaltungen, wenn sie den festlichen Fiaker vorfahren sah. Ähnliches geriet nun der Loiskandl hier in ihre Interessensphäre – denn als solche hatte sie die Sachen freilich sogleich erkannt – und wirkte ablenkend, distraktiv, störend. Schon legte Fräulein Oplatek die Strickerei auf den Tisch und setzte ihre Brillen auf die Nase. »Muß da nicht trotzdem auf jeden Fall eine Anzeige oder Meldung gemacht werden, wegen dieser großen Bestellung, weil's doch auffallend ist, gerade jetzt …«
»Na, die ist aber nicht sehr hübsch«, meinte Fräulein Oplatek. Eben hatte sich die Doppeltür des Ateliers geöffnet und über drei flache Stufen wallte das Paar etwas zögernd in den Garten, während Nelson (nicht der Aar von Trafalgar, nur der Trafikantin Nachbar) mit einem Gehilfen voraus eilte, um den Apparat in Stellung zu bringen. Die schwarz-weißen Hochzeiter versuchten indessen ein gleiches vor dem Gartenhause mit den eigenen Figuren, alsbald vom Meister dabei mit leichter Korrektur beraten. Es wurde auch ein Sessel gebracht. Alles ging übrigens blitzschnell und dieses Bilderblatt für eine Lebenschronik ward so rasch ausgefüllt wie ein Formular auf der Post. Zum Glücke für die Loiskandl. Anders hätte eine Konversation der folgenden Art noch länger angedauert: »Ich meine nur, daß man später einmal einen Vorwurf erheben könnte, weil doch das heute möglicherweise einen Hinweis bilden würde, wo man die Täter ganz vergeblich sucht.« »Sie spreizt sich zu sehr, deswegen wird sie auch nicht schöner.«
»Gibt es nicht diesbezüglich irgendwelche Vorschriften?« »Aber ein liebes Mädel ist sie. Sehr gute Figur. Wann kommst denn du daran?«
»Im Frühjahr vielleicht«, sagte die Loiskandl ergeben, »erst muß er Inspektor werden.« Inzwischen wurde der Aufzug im Garten wieder in's Atelier eingeschluckt. Bei aller Vernünftigkeit war aber nun die Oplatek doch eine Art Zihaloid, und jene behörden-artigen Anwandlungen und polizeilichen Verdachts-Instinkte, welche seit des Herrn von Sedinitzky Tagen hierzulande endemisch sind und alsbald herausgelockt und gelockert werden bei allen kleinen Leuten, denen man irgendein Pöstchen oder eine Funktion gibt, sie lebten auch in der Oplatek. Und darum hatte sie doch auf diesem Ohr gehört, während ihr Mund besprach, was das bewaffnete Auge sah. Nun nahm sie die Brillen ab. »Ich seh' nicht ein, was mich das Ganze angeht?« sagte sie, aber eben doch als Fragesatz. »Man müßte herauskriegen, was die Thea eigentlich mit der Geschichte zu tun hat«, sagte die Loiskandl. »Das könntest du doch«, meinte die Trafikantin. »Ich will's versuchen«, sagte Hedi. »Aber bald«, ergänzte die Oplatek, »denn wenn man's recht betrachtet, könnte man wegen dem Kind Sorgen haben. Kommst' dann zu mir und erzählst mir, was du erfahren hast?«
»Ja«, versicherte die Hedi und ging bald; und bewegte sich ab da im Geleise ihrer vorsichtigen Übertreibungen, wenn man so sagen darf, als erfreuter Hiobspostler mit der ihr eigentümlichen Manier, sich sogleich an jedermann etwas zu nahe hinzustellen, wodurch sie dem anderen unvermerkt gleich einmal die volle Bewegungsfreiheit nahm und einen beengenden, besorgtmachenden Zwang ausübte: bei Theas Eltern ebenso wie dann bei dieser selbst. Frau Rokitzer wollte freilich nicht gleich zu ihrer Schwester laufen, welche sie sonst verhältnismäßig selten sah, um dort – für Thea zu bitten: ja, eine solche Vorstellung vom Stand der Dinge in der Josefstadt war der Mutter Rokitzer unvermerkt von Hedi Loiskandl einpraktiziert worden; aber wären auch die beiden Oplatek-Schwestern unverzüglich zusammengetroffen: es hätte das die Hedi nicht Lügen gestraft. Nur bei Paula Schachl-Pichler geriet diese in irgendeiner Weise an die Unrichtige. (Es ist bezeichnend genug, daß solches einem der Loiskandl gar nicht so unähnlichen Menschen, dem Handelsakademiker Wänzrich nämlich, einst gegenüber dem Amtsrate Zihal passierte, doch gehört dies in die Geschichte von Zihals Verlobung, wofür eine andere Abteilung, wollten sagen, ein anderes Buch zuständig ist.) Da ihr der Wink der Frau Zihal aus St. Valentin bekannt war, den Schachl-Pichlers gegenüber vom Obste zu schweigen, so fühlte sie sich allein schon dadurch der Stiefschwester Paula überlegen – denn sie wußte etwas, was diese nicht wußte – und dementsprechend war ihr Auftreten im Gärtchen. Jedoch zwischen den vier
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