Die Strudlhofstiege
Obstbäumen, im Raume des Strecksessels (aus dem Paula sich zu erheben keinen Anlaß hatte), wurde sie, auf einem wackligen Gartenstuhle sitzend, gewissermaßen zur Strecke gebracht. Denn Neues konnte sie nicht erzählen – wegen des Rittmeisters hatte Paula längst die Ohren zurückgelegt und Theas Ahnungslosigkeit war ihr seit damals geläufig – und so wurde lediglich das Interesse der Loiskandl an diesen ganzen Sachen für Paula entblößt. Es schien ihr durchaus begreiflich. Zudem – solche Umstände sind nun einmal wichtig – der Strecksessel und die zurückgelehnte Körperlage verliehen Distanz, Hedi konnte ihr nicht zu nahe kommen und saß dafür auf ihrem Stühlchen präsentiert und exponiert genug. Dabei, in der Stille des Spätsommer-Abends – der trüb war und verhältnismäßig kühl – bemächtigte sich der Pichler eine recht eigentümliche Vorstellung. Die Loiskandl saß rechts vom Fußende des Strecksessels (und wir müssen es schon als Paulas wortlose Wirkung buchen, daß sie nicht näher gerückt war). Während die Stiefschwester redete und die eingebuchteten Schatten, welche in ihrem Gesichte heimisch geworden waren, sich noch etwas mehr vertieften, empfand Paula das Wesen auf dem Gartensessel bei ihren Füßen fast wie einen peripheren Teil ihrer selbst, einen weg gestreckten Körperteil, so etwa, wie sie auf dem Fußgestell, das ihren Liegestuhl verlängerte, die eigenen Füße sehen konnte in den braunen Halbschuhen: und so wie ihr diese selbstverständlich waren, ganz so war es ihr jetzt auch die Hedi Loiskandl; und sie betrachtete das Mädchen wie man einen Schuh ansieht, mit dem man in den Staub oder in eine Lache getreten ist, wobei man den Fuß im Knöchel hin und her dreht. Beinah ein gleiches vermeinte die Pichler jetzt eigentlich mit der Loiskandl vermögen zu müssen, und hier, weil es nicht so war, stieß sie gewissermaßen an die Unvollkom menheit der Situation und schaute wieder sehr nachdenklich auf den eigenen rechten Schuh. Was aber die Verständlichkeit betraf, so umfaßte diese immer noch beide gleichermaßen, den Schuh sowohl wie die Loiskandl, welche wie ein Anhängsel von Paulas Körperlandschaft dort auf ihrem Stühlchen hockte, weg gestreckt, weg gehalten, und dadurch noch besser gesehen. Daß ein Blanko verlangt wurde für Handlungsfreiheit, war klar (und also auch, daß man doch noch eine Hemmung hatte), und ebenso klar war es der Pichler, daß sie solche Deckung nicht zu erteilen habe: jedoch auch nicht – was ohneweiteres möglich gewesen wäre – die Loiskandl durch die offen daliegende Mitte ihrer Zwecke gewissermaßen zu perforieren. Sie betrachtete ihren Schuh, drehte ihn hin und her, war eigentlich ganz wo anders hin nachdenklich und sagte beiläufig, daß sie leider von diesen Geschichten jetzt erst höre; dies alles sei recht dumm von der Thea und hoffentlich entstünden da nicht noch Unannehmlichkeiten. »Wann sollst du übrigens heiraten?«
»Im Frühjahr«, antwortete Hedi. Vom Avancement ihres Bräutigams sagte sie nichts. Aber, alles in allem, sie war abgeblitzt, sie hatte sich nicht nah genug hinstellen, keine Unruhe bringen, keine Beruhigungs-Mission übernehmen, keine Versicherung erhalten können, daß Thea gewiß mit alledem nicht das mindeste zu tun habe. Als die Loiskandl fortgegangen war, erschien alsbald Alois Pichler im Garten, der daheim gewesen und Hedi vom Fenster aus gesehen hatte: »Ist das Menscherl weg?« sagte er. »Die kommt mir so vor, als ob sie überall ein Hundswürstl liegen lassen tat.« Natürlich sprachen die Eheleute über die Sache. Alois war es, der seiner Frau empfahl, nicht nur den Amtsrat Zihal zu fragen, wenn der einmal aus St. Valentin zurück sei und wieder zu Besuch käme, sondern auch den Doktor in der Marc Aurel Straße, bei dem Paula ehemals gearbeitet habe. Sie wollte beides tun.
Auf Hedi Loiskandls mangelhaften Erfolg in Liechtenthal ist es jedoch zweifellos zurückzuführen, daß man bei Rokitzers – später auch bei den Schwestern, und erst recht in der Familie Loiskandl – Paula Pichler als die Protektorin der Liebesgeschichte zwischen ›dem Herrn Eulenfeld‹ und Thea anzusehen begann (man drückte sich in bezug auf Paula auch schlimmer aus). Solches in die Wege zu leiten hatte eine einzige Äußerung der Hedi Loiskandl den Eltern Rokitzer gegenüber genügt, die jene in einem Augenblicke getan hatte, dessen natürliche Schwingung geeignet war auch diese etwas weniger natürliche zu verstärken:
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