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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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nämlich in Frau Rokitzers Speisekammer, bei Vorzeigung des St. Valentiner clandestinen Obstes, das schon im eigenen Safte in den spiegelnden und etwas vergrößernden Einsiedegläsern saß. »Aus der Paula ist nichts herauszukriegen«, sagte Hedi, »sie hat die Geschichte zwischen Thea und diesem Rittmeister gepachtet und glaubt vielleicht, sie kann aus ihr eine Frau Baronin machen. Ich muß mit Thea selbst reden. Feiner Baron …« Aber plötzlich brach sie ab. Frau Rokitzer sah ihr zu nachdenklich drein, mehr als es dem Glase mit Birnen, welches sie in der Hand hielt und betrachtete, eigentlich zukam; sie schien unvermutet in irgendeinen Schacht oder eine Fallgrube von Vorstellungen abgestürzt. Hedi beugte sich erschrocken über den Rand und rief hinab: »ein Hochstapler!«, worauf die Mutter Rokitzer wieder herauftauchte, jedoch langsam.
    So trennte sich alles entlang dem Obste, könnte man sagen, und es erscheint hier wirklich zulässig entlang denjeni gen zu unterscheiden, die Obst abgesandt oder erhalten hatten und solchen, welche dabei leer ausgegangen waren. Nur der Amtsrat ragte frei von alledem in seinen ätherblauen Begriffs-Himmel und Fimmel. Denn Frau Rosa hatte es fertig gebracht, die Sendungen ohne jedes Wissen seinerseits zu expedieren (wie denn auch die edle Einfalt und stille Größe der Ämter, ach, so oft getäuscht wird!). Im Grunde sind das lauter Gemeinheiten. Das Haus Schachl-Pichler aber stand diesfalls außerhalb.
    Für Thea Rokitzer war dieser Samstag, der 29. August 1925, noch nicht zu Ende. Man soll über einen Tag nicht vor dem Abend klagen, denn es kommt vielleicht noch dicker. Hier kam es zu einer trübsäligen Rederei mit den Eltern, als sie ausgehen wollte; und das mußte sie, weil sie von Eulenfeld erwartet wurde.
    Denn er ist der Rittmeister.
    Der Papierhändler raunzte hinter seiner Frau drein, von der gänzlich vergessen wurde zu sagen, wie sie aussah, weil sie eben überhaupt nicht aus sich heraussah; sie war ein in seine eigene Sauberkeit eingepacktes, hinlänglich schäumendes, kaum duftendes Stück guter Haushalt-Seife. Alle Bestandteile zum Hübsch-Sein vorhanden: aber sie war nicht hübsch, wenngleich gänzlich unverbraucht (und wo hätte sich was in ihr reiben sollen?). Der Papierhändler kam weitaus nicht zum Durchbruche – hat sich schon was mit Durchbrechen bei diesem Rokitzer! – sondern entließ nur einen dünnen, gleichmäßig gesponnenen Faden von Besorgnissen und Befürchtungen. Seine Frau zeigte Unsicherheit. Sie mochte aus der Versenkung, in welche sie vor den Augen der Hedi Loiskandl eingefahren war, doch nicht mehr so ganz wieder em porgetaucht sein. Unser Lämmlein merkte im übrigen freilich jetzt Hedis Werke.
    Gegen neun Uhr kam sie weg – nach allem nur mehr als ein Häferl, gestrichen voll von Malheur – und zehn Minuten später vor Eulenfelds Türe. Diese war olivengrün lackiert und hatte blanke Messingbeschläge. In solche ebenso neutrale wie abgründige Tiefe des Gegenständlichen starrte Thea, nachdem sie den Knopf der Klingel gedrückt hatte, und in dieses Vakuum des Vakuums traten unabweisbare Geräusche von drinnen, bald auch Stimmen durcheinander. Eulenfeld war nicht allein.
    Sehr im Gegenteile. Es waren nicht nur einige, sondern schlechthin alle Personen da.
    Thea hatte also zu ihrem Schmerze keineswegs gelogen, als sie ihren Eltern wiederholt versicherte, sie gehe in eine größere Gesellschaft, die heute abend ›bei dem Baron‹ stattfinde. Dieser hatte bereits jetzt, neun Uhr fünf, Knopfaugen, und wohl auch seine besonderen Gründe dafür.
    Denn abgesehen von den gedoppelten Damen – hier und jetzt aber waren sie wieder in nur einfacher Gestalt anwesend und unter dem Namen Editha Schlinger, wie immer – abgesehen von diesem leidigen Phänomen, war ihm etwas zugestoßen, was einem in Wien unter gar keinen wie immer gearteten Umständen passieren darf, wegen der unübersehbaren und unabsehbaren damit verknüpften Folgen, etwas, das ganz bedingungslos vermieden werden muß, und worüber der Rittmeister als ein Fremder, welcher er im Grunde doch geblieben war, sich offenbar nicht in genügender Klarheit befunden hatte, welche allerdings eine ganz außerordentliche hätte sein müssen, um die fehlenden eingewurzelten Instinkte zu ersetzen: denn allein diese bremsen gebieterisch und sozusagen um jeden Preis vor bestimmten Gefahrenzonen. Auch um den Preis des Rechthabens oder Rechtbehaltens.
    Eulenfeld hatte sich mit der Hausmeisterin

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