Die Strudlhofstiege
Gedankenverbindung für Frau Wöss praktikabel, und sie fühlte sich dabei nur wenig gestört durch den Umstand, daß des Rittmeisters Rückzug zum Tore sehr wohl hörbar gewesen war. So erschien sie denn am gleichen Tage noch mit zihaloider Miene im Vorzimmer und ersuchte ›Herrn Eulenfeld‹, das Haustor zu versperren, wenn er spät abends heimkäme. Soweit wär' alles in Ordnung gegangen. Aber auf des Rittmeisters Widerspruch hin erlaubte sie sich eine Andeutung über Zustände, in welchen man so genau nicht wissen könne, ob man nun zugesperrt habe oder nicht. Den ›Herrn Eulenfeld‹ nahm der Rittmeister immer ohne Ärger hin, er hatte auf Titulaturen nie Wert gelegt, allerdings längst bemerkt, daß die Hawelka, Wöss e tutti quanti dies untereinander im höchsten Grade taten: der erstgenannte, welcher überdies Beamter der Wach- und Schließgesellschaft war (einer Art privater Präventiv-Polizei gegen Einbrüche), wurde sogar von seiner eigenen Frau, wenn sie Hausparteien gegenüber von ihm sprach, ›der Herr Inspektor genannt, und Frau Podiwinsky, der hiesigen Hausbesorgerin Mutter, redete von ihrem Schwiegersohn im gleichen Falle nie per Leopold oder Poldi, sondern sie nannte ihn dann den ›Herrn Wöss‹. Titel wurden nur nach oben, stiegenaufwärts, gestrichen. Hierin lag Tendenz. Eulenfeld hätte diese toleriert. Nie aber die andere, welche eine auf seine ›Zustände‹ abzielende war. Nun freilich begann er Schriftdeutsch zu reden – dieses also war seine eigentliche Muttersprache, soweit dabei von Sprache noch gesprochen werden kann – und der Rest verlief als Sturzkurve und wäre es bald buchstäblich geworden: er warf die Wöss hinaus und beinahe die Treppen hinunter. Trinker sind empfindlich und vor allem vermeint keiner von ihnen einer zu sein.
»Daß du heute erst davon erzählst, von der ganzen Geschichte mit der Hausmeisterin?!« rief Editha, gleichsam ein Erstaunen nachholend, in das sie jetzt erst fiel.
»Nun gut, auf diese Weise sind wenigstens die hausmeistertechnischen Zusammenhänge zur Sprache gekommen«, sagte Leucht völlig ernsthaft.
Für den Rittmeister bildete das nur einen schwachen Trost. Die ganze Sache war ihm mehr unfreiwillig oder versehentlich herausgerutscht. Er hatte eine kleinere Sorge anstatt einer größeren gelüftet; jene war von dem bedeutenderen Drucke dieser an die Peripherie gedrängt und durch den Mund gestoßen worden, wenngleich Eulenfeld sonst nicht eben zu den Redseligen gehörte. Aber die breite Erörterung der Angelegenheit, in welche dies ausgemündet war, machte ihn im Grunde unwillig. Denn er empfand sie für's erste in bemerkenswerter Weise als ein Zeichen der Herabgekommenheit. Es schien ihm ernstlich unwürdig, über Wöss oder Hawelka Worte zu machen, es beleidigte ihn. Zum zweiten aber glaubte er zu fühlen, daß man seine freilich moderierte Darstellung des Vorfalles auf der Treppe sogleich in realistischer Weise ergänzt hatte, ja vielleicht beinahe im Sinne der Frau Wöss …
So grunzte er noch einmal, aber etwas leiser wie früher (das war so ungefähr seine Antwort auf Edithas erstaunten Ausruf) und verharrte schweigend.
Während alledem hielt sich Thea Rokitzer auf ihrem Stühlchen sorgfältig im Gleichgewicht, etwa so, wie man ein randvolles Gefäß horizontal hält. Sie fühlte sich während des ganzen Geredes über die Hausmeisterei gleichsam im Urlaube, nicht anwesend, zu nichts verpflichtet: etwa dem Rittmeister von Hedi Loiskandls Besuch zu erzählen. Er hatte Thea übrigens im Vorzimmer vertraulich begrüßt und sie gebeten, morgen, am Sonntag-Nachmittag, zu ihm zu kommen, da würden sie ihre Ruhe haben; für heute wären die Gäste nicht zu vermeiden gewesen. »Ich muß abends daheim sein«, hatte Thea ganz ohne vorhergehende Absicht darauf entgegnet. »Das kannst du gewiß«, sagte Eulenfeld sehr freundlich und ergeben, »um sieben Uhr wirst du daheim sein, ich verspreche dir's.« Dieses rasche Geflüster im Vorzimmer, gleich nach ihrem Eintritt, aber lag jetzt als ein eigentlich trauriger Nach klang in ihr. Sie sah sich selbst schon voraus, wie sie morgen hier sitzen würde und des Rittmeisters Wäsche ausbessern. Da war Melzer. Der Nachmittag im Juli. Hier, sie war auf dem Diwan gesessen. Nun empfand sie diese Diwan-Ecke, die doch jetzt von einem halben Dutzend Menschen besetzt und belümmelt war, wie leer. Sie fragte nicht nach dem Major. Sie sah Eulenfeld an, der, auch abgesehen von einer jetzt schon recht sichtbaren
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