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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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hab' genau das gleiche wie meine Schwester.‹ Passiert! heißt's da. Mit Recht. Die Zigaretten sind längst mit der Schwester voraus, ja schon im Coupé, wo sie fürsorglich damit einen Platz belegt. Aber erstens geht das vielleicht zweimal in Salzburg, einmal in Passau, und einmal sonstwo noch; ferner dürften sechzigtausend Memphis-Zigaretten oder zehntausend Virginia-Zigarren mit derlei miniaturen Mätzchen kaum transportabel sein, haha!«
    »Da brauch' ich dich dazu, du Armleuchter, um das zu wissen! Aber man sollte doch glauben, wenn man zwei Katzensprünge von hier einen Freund auf der Generaldirektion der Tabak-Regie sitzen hat, als immerhin verhältnismäßig höheren Beamten, daß der einem den Weg zeigen oder öffnen könnte! Nein, der ganze Sommer vergeht, nichts geschieht. Aber das kann ich dir sagen: wenn es dir über den ganzen Sommer nicht gelungen ist, diesen dummen Melzer herumzukriegen, dann werd' ich's jetzt in kürzester Zeit besorgen.«
    Ein alter Hase hat das Hin- und Wider-Rennen zwischen zweien Igeln (welche bereits sichtbarlich die Stacheln sträubten) für den Augenblick eingestellt, aber die Löffel aufgestellt, statt die Ohren zurückzulegen à la Paula Schachl. Eulenfelds Antlitz, dieses unserem Zeitalter im Grunde gänzlich fremde Gesicht einer bonvivanten und nicht unbedenklichen Hofcharge aus dem Beginne des achtzehnten Säculums, überzog und glacierte sich mit einer unguten und unangenehmen Strenge, gleichsam die nun angespanntere eigene Aufmerksamkeit noch überwachend. Was er in der linken Westentasche suchte, war wohl nicht nur das Monokel, sondern gleichsam auch der Stechschlüssel eines alsbald zu eröffnenden rein schriftdeutschen Sprachschatzes.
    Er sah Mimi scharf an, und wahrlich, in diesen Augenblicken war sie für ihn durchsichtiger noch als für die nach Einheit der Person vergeblich strebende Zwillings-Schwester. Es glich die Scarlez einem, der im Glaushause sitzt, ohne mit Steinen geworfen zu haben, dem aber gleichwohl die ersten Brocken und Scherben von außenher vor die Füße klirren. Ihr Gesicht erschien hinter eingeschlagenen Scheiben. Noch immer glitzerten darin die Regenbogenfarben der geschliffenen, nun zerstörten Facetten, noch immer lehnte daran der Morgenschein aufgehender geheimer Freuden, das abendliche Licht süßen Nachblicks hinter dem, was unerfüllt geblieben …
    Freilich wußte Eulenfeld das alles, wußte es tief in seiner Trägheit, hatte es, aber im Grundschlamm versunken (wie wir alle). Die Protektion Mimis für seine Beziehung zu Thea – und augenblicks, in einem handhaft ansprechenden, ja anrufenden Bilde, erschien diese Beziehung nur wie die kurze Kriechspur eines Wurms – hatte ihn längst erkennen lassen, wie es stand, wo er hier stand. Aber solches Wissen aus den Trópoi wurde weit überhöht und eigentlich erst lebend gemacht durch den kurzen, glitzernden und zerbrochenen Aufgang oder eigentlich Untergang in den Zügen der Scarlez.
    Dumm war er ja nicht. Kein alter Husar ist dumm. Ebensowenig wie die Bootsleute. Auch Negria war viel weniger dumm, als Frau Mary einst geglaubt hatte (heute glaubte sie das nicht mehr und nicht einmal so ganz mehr von dem Leutnant Melzer). Im Gegenteil: beide, Husar wie Bootsmann, leiden sogar an einer unheilbaren Klugheit.
    Editha aber drückte nach, in die geschlagene Bresche, in die Lücke, in die Scherben hinein.
    Noch war das Monokel nicht heraus, auch der bewußte Stechschlüsssel nicht; aber des Rittmeisters Gesichts-Ausdruck glich dem des Hundes am Fuchsloch; die Herren Vorfahren hatten sich in diesem Antlitze zu einem Teil versammelt; und wir müssen sagen, daß da schon ein paar ganz konfiszierte Lackeln drunter gewesen sein müssen. Er wartete. Daß man im übrigen ein Pferd, welches gern springt, nicht vor der irish banc noch treiben soll, hatte er ja von seinem ersten Schwadrons-Chef gelernt.
    Editha sprang, nämlich unbedenklich mit vier Füßen auf Mimi. Seit jenem Abende zu Anfang des Dezember 1923 in Buenos Aires, als die Schwester ihr von der gut überstandenen Blinddarm-Operation erzählt und im Badezimmer die feine, damals noch rötliche Narbe des kunstgerecht geführten Schnittes gewiesen hatte – im Gebraus der Wechsel-Duschen, im tiefkühlenden Duft reichlich verwendeter Wässer – seit damals, wenn etwas in Editha gegen Mimi aufwallte, erschien jenes feine Lachsrot, die Farbe eines trennenden Schnittes, wie von Mimi zwischen ihnen gezogen. Das Zeichen der Trennung, ja des Verrates.

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