Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
Vom Netzwerk:
hineinriß, den roten Wagen, die bewegten Straßen, die schöne Frau.
Die Fahrt dauerte nicht lang. Frau Schlinger wollte sich nur heimbringen lassen. Vor einem Haustor im VII. Bezirk, ›am Neubau‹, hielt man. Das Tor war hoch und schmal, rechts davon befand sich ein Geschäft für Schreibmaschinen und BüroArtikel, durch den Flur konnte man rückwärts im Hof das Grün einer Baumkrone sehen. Über dem Geschäft war eine Tafel mit dem Namen ›Lasker‹. Natürlich hat Melzer im Augenblick an den Bataillonskommandanten zu Banjaluka gedacht, den späteren Oberst, der im Krieg geblieben war. In diesem Augenblicke nun kam er sich wie abgekoppelt vor, stehengeblieben, einsam wie ein Waggon auf einem Stockgeleis in der Sonne. Nun saß er allein rückwärts im Wagen, vermißte seine Nachbarin, die er jetzt nicht mehr von der Seite betrachten konnte, ja, er vermißte sie so sehr, daß ihm die knallrote Farbe der leeren Lederpolsterung grausam und beleidigend erschien, er wandte die Augen davon ab: und doch fühlte sich Melzer etwas erleichtert, weil Frau Schlinger nun verschwunden war. Sein Zustand neben ihr hatte eine entfernte Ähnlichkeit gehabt mit dem eines unvorbereiteten Schülers in einem jener Träume, die man sein Leben lang dann und wann haben kann und deren Inhalt die Maturitäts-Prüfung ist.
Melzer stieg in der Porzellangasse aus, vor dem Hause, wo er wohnte, und dies war dem Rittmeister ohnehin am Wege gelegen, weil er stracks mit der Seinigen nach Kritzendorf zu fahren gedachte. Als sie hielten und der Major herausgeklettert und nochmals an den Wagen getreten war, um sich zu verabschieden, mußte Eulenfeld, der nicht zu den Unsen siblen gehörte, der Gesichtsausdruck seines Passagiers auffallen. »Na, mein Lieber – scheinst mir nicht eben in rosiger Stimmung zu sein?« sagte er halblaut und hielt Melzers Hand für ein paar Augenblicke fest. Die junge Dame, welche neben dem Rittmeister saß, unterzog eben das Haus, vor dem sie hielten, einer Musterung von unten nach oben mit leerem Blicke. »Ich bin ein bißl müd«, antwortete der Major, »werd' mich ein Stünderl am Diwan legen. Servus.«
»Gut so. Auf Wiedersehen«, sagte der Rittmeister, trat die Kupplung, Melzer verbeugte sich nochmals leicht vor der Dame und der Wagen rollte, sogleich wieder höchste Geschwindigkeit gewinnend, die langgestreckte Porzellangasse entlang und in der Richtung gegen den böhmischen Bahnhof davon. Melzer blieb zunächst noch vor dem Hause stehen und spürte wie die dünne rasch übergezogene Maske eines verbindlichen Lächelns jetzt von seinen Zügen wieder abfiel. Es gibt gewisse Hautcrèmes, welche eine rasch erstarrende Schutzschicht nach dem Rasieren über das Antlitz legen; man spürt dann ihren leichten Widerstand bei den ersten Bewegungen des Mienenspieles, bis dieses feine Risse hineingebracht und die Schichte sich neuerlich angepaßt hat. Zunächst aber eignet einem da sozusagen ein langsames Gesicht. Etwas Ähnliches empfand Melzer während er noch immer vor dem Hause stand und der Wagen schon verschwunden war. Im ganzen aber brachte ihm jetzt das Alleinsein große Erleichterung. Er stieg endlich die Treppen hinauf. Es war ein ziemlich neues Haus, hell und luftig, die Stiegenfenster im oberen Teile mit bunten Einsätzen, die jetzt in der durchfallenden Sonne leuchteten.
Der Major bereitete zuhause schnell – in alter Übung – türkischen Kaffee in einem getriebenen Kännchen mit langem Stiele. Er benützte ein Service, das er schon in Bosnien besessen hatte. Die lange schmale Mühle, deren Form daher kommt, daß der Araber sie an die Satteltasche geschnallt mit sich führt, die große kupferne Servierplatte mit Ziselierungen, die winzigen Tassen von weißem Porzellan in kupfernen Hältern und die Zuckerdose mit dem aufrechtstehenden Halbmonde über dem Deckel.
Dann tat er Ungewohntes. Er stellte die Servierplatte mit dem fertigen Mokka neben das Bärenfell auf den Boden, stopfte einen Tschibuk und streckte sich der Länge nach auf dem Fell aus.
Der Tschibuk ist die stärkste Art, in welcher man Tabak genießen kann, im Gegensatze zur Nargileh oder türkischen Wasserpfeife, welche als die hygienischeste gelten darf, weil sie dem Tabaksrauch, der hier durchs Wasser gehen muß, wesentlich Gift entzieht. Der Tschibuk hingegen mit seinem breiten und flachen türkischen Tonkopf hat eine sehr große Brandfläche und ist mit dem Munde des Rauchers durch ein starkes etwa halbmeterlanges ganz gerades Weichselrohr

Weitere Kostenlose Bücher