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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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verbunden, welches oben mit Bernstein abschließt, jedoch gänzlich ohne Spitze, sodaß man es nicht in den Mund stecken, sondern nur außen an die Lippen legen kann. Der Tschibuk muß trocken geraucht werden. Verwenden lassen sich dazu ausschließlich die besten Sorten Zigarettentabak, solche etwa, wie sie von der österreichischen Regie seinerzeit unter den Bezeichnungen ›Sultan flor‹ oder ›Pursitschan‹ geboten wurden. Daß Melzer hievon die frischesten Packungen erhalten konnte, versteht sich von selbst, denn er saß ja gewissermaßen an der Quelle.
Gebraucht man den Tschibuk selten und in der beschriebenen Weise, immer in Verbindung mit richtig bereitetem türkischem Kaffee, dann bietet sich in ihm ein fein-narkotisches Mittel zur Beruhigung und Sammlung, die dann allmählich in jenen Zustand übergehen können, in welchem der Türke seinen ›Kèf‹ hält: das ist kein vollständiger und animalischer Schlaf, sondern ein schwebendes Dahindämmern ohne jede Dumpfheit und sogar sehr geeignet, die schöpferischen Kräfte im Menschen zu entbinden, genauer: das Bewußte und das Unbewußte vorsichtig aneinander heranzuführen, bis zwischen beiden der Funke springt.
In dieser Weise hält der gebildete Orientale seine Nachmittagsruhe während der heißesten Zeit, während der Stunde, da ›der große Pan schläft‹, wie die Alten sagten. Auch Melzer versuchte es heute einmal wieder, er nahm seine Zuflucht zum ›Kèf‹. Aber er gelangte nicht ganz zu diesem. Ein unaufhörlicher Nachhall fiel hinein, von draußen her sozusagen, noch immer von der sonnigen Porzellangasse her: eine obstinate Belanglosigkeit war's, die sich ständig in Melzers Vorstellungen drängte. »Scheinst mir nicht eben in rosiger Stimmung zu sein …«, hatte der Rittmeister gesagt. Dies erinnerte Melzer jetzt an irgend etwas, sehr lebhaft, sehr tief. Aber ein anderes stand dazwischen und störte: es war ein Geruch, der aus einem ganz fremden Zusammenhange zu kommen schien; Mel zer schnupperte vor sich hin und nun spürte er den feinen hellen Schnitt, welchen das dem Bärenfell von vielen sommerlichen Einmottungen her anhaftende Naphtalin durch den Duft des Tabaks und des Kaffees zog. Der Major setzte sich aufrecht, füllte das Mokkaschälchen, sog das starke Aroma ein und nippte ein wenig. Von der Gasse unten kam Klingeln und Jaulen eines sehr schnell vorbeifahrenden Straßenbahnzuges, der jetzt über den Gipfel vom Berg des eigenen Lärms brauste. Die Sonne schnitt eine dreieckige Fläche aus dem höchsten Stockwerk des Hauses gegenüber und lag gleißend auf dem weißen Bewurf. Melzer war zunächst nicht fähig zu begreifen, in welchem Zusammenhange dies alles mit dem Café Pucher – wo er längst nicht mehr hinkam – stehen sollte: aber er dachte eben an das Café Pucher.
Und endlich begriff er, daß der Ritter von Lindner ihm vor dreizehn Jahren in jenem Café ungefähr das gleiche gesagt oder eigentlich ihn das gleiche gefragt hatte, wie der Rittmeister vor einer halben Stunde unten vor dem Haustor im Auto, nur eben sozusagen in einer anderen Sprache.
Aber das war nicht alles. Das war nur der harmlose äußerste Rand von dem, was Melzern bedrückte, der doch das Denken nicht gelernt hatte, nicht einmal als Major.
Jedoch, hier genügte schon das Fühlen, bei diesem kleinen und kurzen Kontakt-Schluß zwischen Vergangenheit und Gegenwart: denn sie erwiesen sich dabei als identisch. Beide Stimmen, ob nun die des Herrn von Lindner oder die des Rittmeisters, sie riefen in irgendeine Gefangenschaft hinein, worin er, Melzer, sich befunden hatte und sich also noch immer befand, in eine Unselbständigkeit, in ein Weitergegeben-Werden von Umstand zu Umstand, vom Militär zur Tabak-Regie … in eine Dumpfheit, bei Zauner in Ischl oder gleichgültig sonstwo: statt auf die Villa zu Stangelers hinausfahren zu können zum Beispiel. »Asta hat den Marchetti übrigens genau so wenig geheiratet wie mich, und jener fängt schon an fett zu werden wie ein Neujahrsschweindel.« Und was den Krieg betrifft, so begann Melzer seine Selbständigkeit und Verantwortlichkeit als Kompaniekommandant jetzt gleichsam eingerahmt zu sehen von der allgemeinen Unselbständigkeit seines Lebens überhaupt, worin er niemals irgendwohin gegangen, sondern immer nur irgendwohin gekommen war. Auch auf die Treskavica. Er war mitgenommen worden, genau wie heute nachmittags im Automobil. Das alles erschreckte den Major gar sehr. Und so mußte er denn jene Augenblicke leiden, die

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