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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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zweifeln, daß ihm solches schon einigermaßen schmerzlich gewesen wäre, eine herausgebrochene leere Stelle, ein Verlust. Nun, er wußt' es nicht.
    Übrigens war ihr Verhalten jetzt plötzlich wechselnd, überraschend, sprunghaft. Nach etwa zwanzig Schritten schon redete sie ihn sehr lebhaft an, wandte sich ihm zu, fragte ihn allerlei (zum Beispiel auch, ob er wisse, wo Edouard von Langl sich jetzt eigentlich befände, und ein gewisser Konietzki, von dem die Mama Stangeler zu sagen pflegte, er sähe aus wie ein entthronter König von Polen – »ja, ich bin viel im Ausland«, bemerkte sie dazwischen; und dann fragte sie Melzer mit offensichtlichem Anteil und Interesse nach seiner jetzigen Stellung und Tätigkeit – sie schien inzwischen durch den Rittmeister darüber orientiert worden zu sein – und wie es ihm denn überhaupt gehe ›im Zivil‹?).
    Jedoch das Gespräch gedieh nicht weit.
    Noch vor der Ecke zum Stephansplatz, bei der Buchhandlung, kam ihnen Ingrid von Budau, geborene Schmeller, am Arme ihres Gatten geradewegs entgegen.
    Melzer zog den Hut. Und weil sie knapp aneinander vorbeipassierten, verbeugte er sich leicht im Gehen und sagte:
    »Ich küss' die Hand, Gnädige.«
    Ingrid, die er freilich nicht zum ersten Male hier in der inneren Stadt auf der Straße sah und grüßte, dankte keineswegs, sondern schaute mit einer Art von Glasaugen an Melzer rechts vorbei. Herr von Budau zog es vor, gegen die Auslage eines Geschäftes zu blicken. Weg waren sie.
    Der Major fand sich einigermaßen konsterniert und aus dem Konzepte (mochte er da immer im Konzepts-Dienst tätig sein!), keineswegs aber nur durch das unbegreifliche und neuartige Verhalten der Frau von Budau, sondern vielmehr auch dadurch, daß ihm plötzlich die Fahrräder von heute morgens einfielen, ja sich ihm geradezu aufdrängten (was doch ganz offenbar unsinnig war) und außerdem durch den Umstand, daß er jetzt hintennach vermeinte, eine solche Begegnung eigentlich schon im voraus erwartet zu haben (dies hinwiederum war ihm geradezu unheimlich).
    Editha aber, als sie inzwischen auf den Stephansplatz gekommen waren, legte los, wahrlich ohne sich irgendeinen Zwang anzutun:
    »Hat man so was schon gesehen!? Diese Nocken! Genau an der gleichen Stelle, merkwürdig übrigens, hat sie mich erst vor ein paar Wochen geschnitten, na, ich sie meinerseits freilich auch. Wir grüßen uns nie. Seit 1911. Sie erinnern sich doch, was? Sie haben doch von Asta Stangeler sicher alles erfahren, damals?«
    »Ja, gnädige Frau«, sagte Melzer, »obwohl man schließlich über solche Jugend-Geschichten oder Torheiten später doch auch hinweggehen könnte, verzeihen Sie, wenn ich Ihnen das sage, aber es ist wirklich meine Ansicht davon.«
    »Nicht die meine«, erwiderte sie prompt und entschieden, während sie jetzt ganz langsam dahingingen und der anschwellende Stank und Lärm der Autobusse – welche zu jener Zeit Tag und Nacht eine schütternde Karussell-Tour um den Dom zu etablieren pflegten – ihr Gespräch gut zudeckte, so daß sie nicht einmal nötig hatten, die Stimmen besonders zu dämpfen.
    »Nicht die meine«, wiederholte Editha, und setzte, nun plötzlich heftig, ja fast hemmungslos ausbrechend fort: »Na gut, das alles ist zwischen mir und dieser aufgeweichten Semmel, dieser Nocken, diesem gewässerten Schusterlaberl, heut' schaut sie wirklich schon so aus. Aber einem Herrn, der sich zufällig in meiner Gesellschaft befindet, deswegen für seinen Gruß einfach nicht zu danken, damit es, bewahre, nicht am Ende so aussehen könnte, als würde sie auch mich begrüßen: das ist der Gipfel trottelhaftester Unverschämtheit. Und sonst? Sie grüßen doch diese Ingrid sicher nicht zum ersten Male auf der Straße? Hat sie Ihnen sonst gedankt?« »Ja«, sagte Melzer.
    »Da hat man's!« rief Editha, wandte sich gegen die Haltestelle der Autobusse beim Café de l'Europe zu und blieb dann ausspähend stehen. »Ihr Mann, dieser Budau, wissen Sie, das ist einer der hervorragendsten Armleuchter, die in Wien herumlaufen. Der spielt natürlich mit bei so was, dieser HausIdiot. Quant à moi, je m'embêterais à mourir avec un dandin de cette sorte. Der Rittmeister hat ihn einmal im Park-Club beim Tennis gesehen und sagt, er läuft wie ein Pferd mit Hahnentritt.«
    »Dem Herrn von Budau ist da wohl nichts anderes übrig geblieben, als bei seiner Frau sozusagen mitzuspielen«, meinte der Major.
    »Meinetwegen«, sagte Editha. Und mit diesem einen Worte war ihr Ton von anfangs

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