Die Strudlhofstiege
kupfernen Bowlenkübel unter der Anrichte des Speisezimmers jeweils deponiert war. Es gab eine interne Wendeltreppe vom zweiten in den ersten Stock hinunter. Den langen Weg von der hintersten Spitze des Bockshorns her kommend, in harmlosem und alltäglichem äußeren Aufzuge oder etwa schon im Schlafrock, passierte sie, wenn alles zu Bett gegangen war, das Vorzimmer und glitt die kleine Treppe hinab; immer noch, wär' ihr schon jemand begegnet, hätte ein geringer Vorwand leicht durchgeholfen, ein liegengelassenes Notenheft etwa – sie pflegte mitunter an dem großen Konzertflügel im ersten Stockwerke zu üben, weil er besser war und in einem akustischeren Raume stand als das Klavier in ihrem Wohnzimmer – oder sonst etwas, dessen sie am nächsten Morgen, vielleicht für eine Musikstunde, bedürfen würde, ein Notizblock oder ihr Metronom. Nur knapp vor dem Kleiderwechsel, vor diesem letzten Tüpfelchen auf das i der sonst perfekten Toilette, hieß es noch einmal sichern wie ein alter Gamsbock: und so stand sie denn in dem jetzt leeren, großen Raum, welchen der eingeschaltete Kronleuchter erhellte, und lauschte noch einmal während tickender Sekunden. Rasch vollendete sich dann die Metamorphose vor einem hohen Spiegel am Pfeiler. Und nun hieß es verschwinden, noch einmal lauschend, die Lichter hinter sich ausschaltend. Jetzt auf die Treppe; die Tür klappte fast lautlos. Und den Hausschlüssel ihres Elternhauses, den besaß sie. Auch hier gab es freilich ein Portiers-Ehepaar. Aber solche Leute degenerieren in der Atmosphäre eines Privathauses, wo eine Schreckensherrschaft nicht möglich und das zu ihrer Fundamentierung erforderliche scharfe Beobachtungsvermögen nicht mehr lebensnotwendig ist. Das Ehepaar Richterček verhielt sich zu den Fučeks wie ein Pintsch zu einem Wolf. Man sieht schon: Etelka war des Lebens nicht überdrüssig, mochte sie daheim auch sozusagen in der façon voilée erscheinen, gedämpft und verschleiert von Melancholie (was natürlich bei ihrem Vater Wutanfälle auslöste). Ihre nächtlichen Eskapaden waren damals noch völlig harmlos und unschuldig. Sie führten in Kreise, die mit ihrem Elternhause nicht eben in offizieller Bekanntschaft und Verbindung standen, jedoch blieb alles das so ungefähr in der gleichen Schichte oder Schachtel: man fuhr in hellen Mondnächten durch den Wienerwald oder die Wachau (dabei gab es sogar eine Automobil-Carambolage und Etelka beeilte sich in einem Taxi davonzukommen, um nicht als Zeugin in Erscheinung treten zu müssen, denn einer hatte nahezu das Genick gebrochen). Mitunter ward die halbe Nacht in einer Bar oder Bodega zugebracht, freilich mit Vorsicht und in abgeschlossenen Logen, es gab noch andere junge Damen dabei. Asta wußte von allem, wachte treu bei Etelkas Abflügen und wurde im übrigen nicht immer gut behandelt und zusehends schlechter, seitdem sie gleichfalls in Gesellschaft erschien und ihre erste Ball-Saison hinter sich gebracht hatte. Es ist auch einmal vorgekommen, daß ein neues mohnrotes Kleid Astas, welches deren bräunliche Schönheit vielleicht allzu gut grundierte, von ihrer Schwester zerrissen und zerstört und ganz unbrauchbar gemacht worden ist. Im übrigen waren sie auch viel zärtlich beisammen, und Etelka war eine Naschkatze, deshalb versäumte es Asta nie, ihr von einem italienischen Conditor in der Nähe gewisse lange mit Marzipan gefüllte Schokolade-Stangen mitzubringen oder solche bereitzuhalten. Diese Stäbe des Genusses pflegte Asta ihrer Schwester auch nach anstrengenden Eskapaden noch knapp vor dem Schlafengehen durch den leise und geheimnisvoll geöffneten Türspalt entgegenzustrecken – worauf von drinnen unmittelbar ein rascher Biß erfolgte. Das war so eine Gepflogenheit. Asta blieb oft und lange wach, wenn Etelka nachts außer Hause war. Sie schlief wohl beruhigter ein im Bewußtsein des glücklich wieder vollzogenen Einschlupfes.
Mit Stephan Grauermann standen Etelkas nächtliche Expeditionen in keinem Zusammenhange.
Der Stil dieses Umganges war ein ganz anderer und erinnerte schon eher an die façon voilée. Grauermann war ein im Grunde gesunder und nüchterner Bursche und, wie wir schon sagten, eignete ihm ein für sein Alter nicht geringer Grad von Bewußtheit. Er war geweckt, ein aufgeweckter junger Mann. Dazu gehörte auch sein Bildungs-Interesse, aber es stellte dieses keineswegs den Grund seines Wachseins dar, er war nicht gerade auf diese eine Art erwacht oder aufgeweckt worden. Jedoch das
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