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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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allgemeine Diskussions-Bedürfnis der Jugend drängte ihn zunächst in diese Bahn und das ganz besonders, seit sich auf der Akademie seine Wege mit denen des Teddy von Honnegger kreuzten, der um zwei Jahre älter war und also einem höheren Jahrgang angehörte. Auch Etelka war übrigens um einiges älter als Stephan (den man meistens Istvan oder Pista, also ungarisch, benannte, und zwar mit Recht, denn sein Vater, Primararzt in Preßburg, war Magyare, trotz des deutschen Namens). Zwischen diesen beiden nun, Etelka und Teddy – welche einander zu jener Zeit nur flüchtig gekannt haben – geriet unser Pista gewissermaßen ins Kreuzfeuer. Es hagelte Geist, und er nahm ihn für vorbildlich, aber es war nicht jener, den er unter dem Worte eigentlich verstand, denn diese seine Vorstellung blieb immer eine übersichtliche und kultivierte. Den Beiden aber eignete – jedem von ihnen auf besondere Art – etwas im Vergleiche zu Grauermann, freilich nur durchaus relativ, Elementarisches: man könnte auch sagen, es machte hier das Geistige doch ein solches Rädchen im ganzen seelischen Mechanismus, daß dieser ohne dasselbe ein ganz anderer gewesen wäre; man kann also, streng genommen, nicht eigentlich behaupten, sie hätten ein Rädchen zu viel gehabt, mochte es auch zuzeiten diesen Eindruck erwecken.
    Honnegger, der, nebenbei bemerkt, keineswegs das war, was man so schlichthin einen sympathischen Menschen nennt, hatte vom Denken insoferne einen richtigen Begriff gewonnen, als er um dessen notwendig mitgesetzten Pessimismus wußte. Das war aber auch beinahe alles, was er damals wußte, und im übrigen nahm er seinen Rückzug in die Musik (έν τφ φρονεΐν γαρ μηδέν ήδιστος βίος – im Denken liegt nicht das angenehmste Leben). Aber auf sein zweifellos in der eigenen Existenz wohlbegründetes Verhältnis zu den Schriften des Doktor Schopenhauer respondierte bei Grauermann bald eine genaue, übersichtliche und akademische Kenntnis des genannten Autors.
    Und bei Etelka erfuhr's dann die wunderlichste Umbildung durch Unbildung, bis zu einem fruchtbaren und letzten Endes furchtbaren Mißverständnisse … Sie saugte jene bestrickende Sprache in sich hinein wie vertrockneter Boden den Regen, und es schien ihr gerade dieser Regen zu sein, welchen sie brauchte. Ihre Auffassung war rasch, lebhaft und von Blitzen wirklicher Ergriffenheit erhellt; ihre Begabung reichte zweifellos aus, um den erwählten Autor in sich aufzunehmen, dessen musische Qualitäten ihr seine Konsequenzen immer wieder glänzend verhüllten. Allgemach wurde aus ihrer Lektüre eine Art Interpretation ihrer eigenen Stimmung und, so verkehrt das auch gewesen sein mag, so war es doch echt: alle Schriften des Philosophen wendeten sich bei ihr als Formungen ihres eigenen Lebens-Stiles an. Es entstand so etwas wie eine höhere und erkenntnistheoretisch begründete Art der ›façon voilée‹. Bei aller Absurdität und Verschmocktheit aber geriet eben in Etelka etwas durchaus Echtes in Bewegung, und darin bestand die Gewalt, welche diese Studien allmählich auf ganz neue Art über Grauermann gewannen: so sehr er auch immer wieder unter der Schwelle des Bewußtseins revoltieren mochte, hier in ganz gleichlaufender Weise wie bei der Musik. Und solche Revolten konnten ihn sogar daran hindern, eine dutzendmal gehörte Sonate wieder zu erkennen.
    Seltsame Studien für ein Liebespaar! Ich halte für möglich, daß die Beziehungen dieser Beiden das sogenannte erlaubte Maß nur aus Snobisterei nicht überschritten haben, ein schwaches Fundament der Moral, wie man wohl einwenden wird, aber es hielt. Die Sehnsucht nach Form ist im jungen Menschen alles durchdringend und er bringt ihr, ohne es recht zu wissen, viele Opfer, auch die absurdesten. Und jene Form wäre hier durch einen so offenkundigen – sagen wir einmal: Vitalismus; zweifellos durchbrochen worden.
    Gelegenheit dazu hätt' es genug gegeben. Denn die philosophischen Konvente der Beiden spielten sich im hintersten Zipfel des Bockshorns ab. Asta war immer im Einverständnis und auf ihrem Posten. Pista Grauermann kam, wenn die Luft rein war – also etwa der Vater Stangeler auf einer im Bau befindlichen Alpenbahn herumstiefelte – geradewegs ins Bockshorn, ohne sich erst vorne anmelden zu lassen: das heißt, er wählte den Weg an Frau Fučeks Zyklopenauge vorbei, und fühlte sich dabei gedeckt und gar nicht auffallend. Das war ein Irrtum. Seine Uniform, für die eines Offiziers gehalten,

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