Die Strudlhofstiege
Lande und auf der elterlichen Villa, und die Zeit war – mit immer den gleichen abschließenden Felswänden über dem Ende des Tals und immer den gleichen verdämmernden Bergen gegen die Tiefebene zu – über die Mitte des August vorgeschritten.
Manche Örter blieben für René noch von Teilen kindheitlicher Welthöhle umschlossen, wiesen noch Ausgedehntheit und Einzelheiten, die dem von außenher streifenden Blicke des Erwachsenden und Entwachsenden späterhin verschlossen sein sollten: wie dem flüchtig dahin huschenden Scheinwerferlichte, das alles platt schlägt, die Höhlungen und Einsprünge und das Plastische einer Örtlichkeit überhaupt, etwa eines Dorfes oder Städtleins, durch welches nächtens das Fahrzeug gleitet. Jetzt aber öffnete sich noch manche tiefe Grotte knabenhafter Befangenheit grünleuchtenden Scheins unter ge wissen Büschen und Bäumchen im Jungwald. Oder die trockene, von sommerlicher Weite abgewandte und doch vom Sommer durchtränkte Einsamkeit und Stille einer Bodenkammer, wo altes Werkzeug aufbewahrt wurde und sonst manches, was durch jahrelanges Liegen aus alt wieder neu geworden war und bei der Entdeckung durchaus so anmutete. Auch eine Werkstatt gab es im Souterrain, den Kellern benachbart, deren Duft und Reich hier herrschte, und den räumigen Bogen der Arkaden aus Hau steinen, unter welchen die große Mostpresse stand, auf welchen die ausgedehnten Holzveranden des Hauses ruhten. Es gab die Gegend bei der dunklen Brunnstube, von wo die Trinkwasserleitung ihren Ausgang nahm. Und es gab einen höher gelegenen Teich oder Tümpel im Bach, einen Stauweiher, schon zwischen den schiffsmastenstarken Bäumen des Hochwalds, wo sich das Nutzwasser sammelte um genug Druck auch für die oberen Stockwerke des Hauses zu bekommen: und hier waren die Wände einstmaliger Welthöhle rundum fast noch ganz unzerlöst, hier wirkten sie noch die Kraft ihrer Befangnis aus jener Zeit, da diese paar Quadratmeter Wassers ihre Gestade und Küsten gehabt hatten, die man mit Schiffen befuhr, da diese Wassertiefe von kaum einem Meter genügt hatte, den auf ihrem Grund kriechenden Wurm oder Molch mit aller Räumigkeit und mit allen Dunkelheiten und mit dem Gruseln einer Tiefsee-Vorstellung zu umgeben.
So breitete sich Renés Topographie im Sommer des Jahres 1911 noch recht geräumig und detailliert aus, und diese äußere Ortskunde war zugleich eine innere und die Grenze beider Gebiete nicht ausgemacht sicher. Eine Schlucht, zum Beispiel, hinter steil-bergigem Tannenforst nahe der Grenze des väterlichen Besitzes durch einen sommers meist schwächlichen Bach während vieler Jahre und Frühlinge eingerissen und gehöhlt, diese Schlucht gab es unabhängig von ihrem äußeren Bestände auch in René, wovon er damals bereits einige Kenntnis hatte. Sie führte da – inwärts – in keinen dem Gymnasiasten angenehmen Bereich. Hier roch's wie nach Kröten, Unwürmern, Schlamm und feuchtem Geringel. Es war Beschwernis, so was in sich vorhanden zu wissen, es behinderte merkwürdigerweise nach außen hin, weil es die anderen Menschen beweglicher und überlegen sein ließ, während man selbst was zu verbergen hatte. Wurde nicht allein durch solchen Sachverhalt ein Druck spürbar, von älteren Personen her, deren Urteil man unterworfen lebte, ein Druck, der gewissermaßen gar nicht ausgeübt ward und den man doch auf sich zog? Freilich auch von Seiten des Vaters. Man suchte vieles, ja alles zu verstecken und zu vermeiden, man trachtete eigentlich nur und ständig danach, nichts auf sich zu ziehen. Aber man zog. Die Schlucht wurde rechter Hand von einem erdigen und schieferfelsigen Abbruche gebildet – oben lag freies talwärts fallendes Feld, jedoch stand am Rande durcheinandergewachsen dichtes Gebäum und Gebüsch, das die offene Landschaft hier vom Gemüte ausschloß. Linker Hand die nadelglatten Hänge des Waldes aus Edeltannen. Der Bach kam steil herab, verflachte weiter oben nur ein wenig in einem kleinen Sumpfe, dessen Dotterblumen in der einfallenden Sonne einen kräftigen gelben Ton gaben. Denn sonst und unterhalb lag hier alles im Schatten der durcheinandergreifenden Laub- und Nadelbäume, jene von rechts her, diese von links ihr Astwerk über Schlucht und Bach spreitend. René kam von unten, im Bachbett steigend. Das war seine Gewohnheit, um das Wasser nicht zu trüben. Vor vielen Jahren hatte er hier einmal – mit Asta gemeinsam – einen Krebs entdeckt. Die Kinder pflegten sich mit Herumklettern an dem
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