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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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steilen Abbruche zu unterhalten. Dabei kam viel Erde, Sand und Grus ins Rollen, und einmal verschütteten sie auf solche Weise mit Absicht das Gerinnsel des Baches ganz und tief, um es dann durch einen senkrechten Schacht wieder zu ergraben. Nächsten Tages saß am Grunde des Loches, wo das Wasser sickerte, ein Krebs. Er war wohl bei nächtlichem Streifzug in die Grube gefallen. Seitdem suchte Stangeler dann und wann, es blieb eine Gewohnheit, wenn auch von nur seltenem Erfolge gelohnt. Gewohnten Griff unter die Steine unterließ er allerdings von einem bestimmten Tage an: an der Oberfläche eines der vom Bache gebildeten verhältnismäßig tiefen Becken hatte er ein großes Ahornblatt schwimmen gesehen. Er strich's beiseite – und darunter saß ein ungewöhnlich starkes, fast handlanges Exemplar jenes Steinkrebses, des Astacus torrentium, wie ihn die Wissenschaft nennt, welchen man auch sonst in den Gebirgsbächen der Gegend da und dort damals noch antreffen konnte. Ans Licht befördert mit geschicktem Griff am Kopfbruststück aber bot der schöne Fund einen Anblick, der René veranlaßte, ihn nur gleich wieder ins Wasser zu setzen und aus der Hand zu lassen. Das Tier war beim Fraße gewesen. Seine Beute, ein ganz ungewöhnlich großer Regenwurm, fast wie eine Blindschleiche, war vielfach um die kräftigen Scheren geknäult, lebte noch und suchte sich seiner Vernichtung durch Windungen zu entziehen. René wurde sogleich von der Vorstellung gepackt, beim Griff unter die Steine mit der Hand in so etwas hineinzugeraten. Seither untersuchte er nicht mehr die Höhlen und bekam auch keinen Krebs mehr zu Gesicht. Jedoch eine Art Gepflo genheit (oder war das ein Zwang?) ließ ihn von Zeit zu Zeit immer noch dem Laufe des Baches durch die Schlucht von unten nach oben folgen.
    Er stand jetzt mit gespreizten Beinen unterhalb der kleinen Sumpfwiese, wo das Bachbett noch steil war.
    Im Sumpf geschah ein Zucken der Dotterblumen, dann ein Schütteln oder Beuteln der gelben Tupfen. Zugleich rieselte es rechts von der Wand, die den kleinen in der Sonne grünleuchtenden Fleck begrenzte.
    René verhielt sich nun eigentlich wie ein primitiver Jäger, ein Buschbewohner oder sonst ein Wilder. Er rührte kein Glied, blieb in der halbgebückten Körperstellung, die er augenblicks eingenommen hatte, legte gleichsam die Ohren zurück und äugte. So bekam er denn auch etwas zu sehen.
    Ein graues Schleppen und Ziehen geschah auf dem erdigen Hang und von da in den Zipfel der versumpften Stelle hinein: und jetzt auch schon auf der anderen Seite wieder heraus. Da hatte René den Kopf der Schlange bereits entdeckt, der größten die ihm je in freier Natur begegnet war. Sie schob sich auf irgend eine Weise aus dem begrünten Fleck heraus und hing bald wie eine Guirlande quer über das Bachbett, dort wo es wieder steinig und steil wurde. Noch rollten Erdkrumen auf der anderen Seite am Fuße der Böschung, von wo der letzte Teil des Schwanzes eben weg glitt. Der Kopf mit den breiten gelben Backen tastete längst über den Waldboden hinauf.
    Freilich kannte René die Art des Tieres und dessen Harmlosigkeit: ein Händeklatschen hätte es rasch und gestreckt wie eine Peitschenschnur entfliehen lassen. Aber auch das Tier zu fangen wäre ihm durch Geschick und seine Erfahrung in solchen Sachen möglich gewesen, und so hatte er's auch stets ge macht, bei jeder Begegnung mit einer giftlosen Natter, ja wie automatisch und selbstverständlich. Aber ein Exemplar des Tropidonotus natrix von solcher Größe war ihm noch niemals vor Augen gekommen. Die Länge mochte gut zwei Meter betragen. Er besorgte, rasch überlegend (und, wie die Naturkundigen bestätigen werden, nicht ohne Grund), daß eine Ringelnatter von solcher Ausgewachsenheit Schnürungen an seinen Armen bewirken könnte, die weit wirksamer wären als jene, wie sie auch die kleineren Stücke des öfteren versucht hatten … Diese Schlange, deren Art, Lebensweise, Fortpflanzung, deren Bewegungen zu Wasser und am Lande er ganz genau kannte: sie war ihm doch in diesem Größenausmaße fremd und ein neues, bisher unbekanntes Geschöpf.
    Da René sich nicht rührte, kroch der Tropidonotus-Lindwurm gemachsam seines Weges weiter, gegen einen tief eingerissenen Seitengraben der Schlucht, wo ein kleines Gerinnsel dem Bache zufloß.
    René fühlte jede Bewegung der Natter, als sei er's selbst, der sie ausführte, nur gleichsam umgeschlagen in sein Inneres: das Treffen auf ein Hindernis beim Kriechen, Ast oder

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