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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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über dem Bachbette stand, immer noch Knabe, längst schon Filou.) Jedoch das Schwere, das Schwerbetonte, wie er's spürte, lag außer der Reichweite seines anhebenden bewußten Denkens, es lag in dem stauchenden, windenden, stockenden, strebenden Schlangenkörper selbst, der eben jenes Anhebende so vollendet für ihn äußerlich zur Darstellung brachte und abbildete.
    Sie war weg. Sie war um die Ecke und in dem tiefen Dickicht riesiger Huflattich-Blätter verschwunden.
    Da stand er, noch immer regungslos, die herabhängenden Hände voll Harzflecken und anklebender kleiner Steinchen, jene von Stämmen, an welchen er sich angehalten hatte, auf den übermäßig steilen, nadelglatten Waldhängen, diese vom Emporklettern durch den untersten, stufenweis abfallenden Teil der Bachschlucht. Ihm war heiß gewesen im Heraufsteigen. Jetzt jedoch spürte er die Kühle der schattigen Schlucht, und etwas bekroch ihn wie eine Gänsehaut.
    Da stand er, quer über dem Bachbett, in seinen kurzen Lederhosen, den Schopf in der Stirn.
    René schüttelte sich plötzlich und verließ mit einigen Sprüngen die Schlucht.
    Das Terrain wurde flacher und ging in eine sanft geneigte Schonung mit reihenweise stehenden kleinen Fichtenbäum chen über. Hier lag die Vormittags-Sonne mit voller Kraft und hinter den Baumwipfeln stand hochauf das makellose Blau des Himmels. René fühlte sich hereingenommen in den warmen Sonnenschein, der ihn durchdrang. Dort rückwärts, am oberen Rande der Schonung, führte ebenhin am Hange, unter Laub-Bäumen, ein schmaler Weg, und bei diesen Büschen und Bäumen und den einladenden Buchten, die sie am Rande der offenen Fläche bildeten, war auch eine von Renés besonderen Beheimatungen – ein geometrischer Ort zusammenfallender innerer und äußerer Topographie, könnte man sagen, jedenfalls gewann beides dabei an Ausführlichkeit und Leuchtkraft. Er schaute hinüber. Der Ort war, seit man Virgils bukolische Gedichte in der Schule gelesen hatte, für ihn damit in Verbindung. Amaryllis. Der Name schmeckte wie reifes Obst. Irgendwas überschnitt sich in René, irgendwas ging nicht recht zusammen, und dazwischen spannte eine feine Qual: und als wäre sie es, die jetzt, getroffen, einem Tamburine gleich erklang, so empfing sein Ohr den Hall eines vom Racket geschlagenen Tennisballes. Ein sonniges unbekümmertes Geräusch, in welchem der Ton von den im Rahmen gespannten Darmsaiten mitklang. Und wieder. Und hin und her. Stimmen, Gelächter. Die Auslösung – le déclic, sagen die Franzosen, ein feines Wort! – brachte ihm anderes, und das hatte mit dem Tennis nichts zu tun.
    Anderes, und wieder eine andere Welt, in der man ganz müßte daheim sein, nicht vom Schlangenfangen herkommend, oder mit harzklebrigen Händen … auch der Virgil dort unter den Büschen in der gelassenen Stille bei summendem Sommer überall in den Lüften wies ihn ab, getrennt von ihm wie durch eine Membrane, die sich spannte, aber nicht platzen wollte. Da sah er sie wieder: die Stiege. Durch die stille Gasse unten kommend, jetzt hörte man den Brunnen rauschen. Links und rechts pirouettierten die Treppen zu der ersten Plattform. Und dann Rampe über Rampe, Bühne über Bühne. Das Laubgekuppel üppig. Welche Möglichkeiten! Auftritt von oben. Alles nur Hintergrund, wie der Hintergrund eines Porträts. Vor jenem schwebte das Antlitz Paulas. Die Stadt im Hochsommer. Das Haus ›Zum blauen Einhorn‹. Die Strudlhofstiege.
    Für Dienstag, den 22. war die Garden-party bei Schmellers in Döbling angesetzt. Etelka und Asta hatten die Erlaubnis, zu diesem Zwecke nach Wien zu fahren. Es galt hier mitzukommen. René hatte schon Anstalten dazu getroffen. Sein Hauslehrer oder Hofmeister, wie man auch zu sagen pflegte, konnte diesmal die zweite Hälfte des Sommers nicht hier verbringen, sondern befand sich in Wien, aus irgendwelchen Gründen, wegen eines Pauckurses für die zweite juristische Staatsprüfung, wie er sagte (René glaubte eigentlich niemandem irgendwas, sondern war in aller Unschuld der Meinung, daß überall durchschnittlich mindestens so gelogen werde, wie in der eigenen Familie; aber diese Meinung war denn doch übertrieben). Jener Hauslehrer steckte mit René freilich in allen Sachen unter einer Decke. Obendrein genoß er die Sympathien des alten Stangeler, wegen Tüchtigkeit, weil er seine Mutter allein und vortrefflich erhielt, und dergleichen … So war über Renés Veranlassung als vorteilhaft empfohlen worden, daß dieser in der

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