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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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zweiten Sommerhälfte einmal für ein paar Tage oder eine Woche nach Wien käme, um vor Beginn des neuen Schuljahrs in dem oder jenem Lehr-Gegenstande ein wenig aufpoliert zu werden. Mit Paula Schachl korrespondierte René postlagernd unter einem Kennwort, damit keiner ihrer Briefe versehentlich mit der übrigen Post für die Familie Stangeler hier auf die Villa heraufkäme. Nun, sie war verständigt, er sollte sie am Tage nach der Garden-party, also am dreiundzwanzigsten, treffen. In der Conditorei auf der Alserbachstraße. Versteht sich.
    Das ganze Arrangement war höheren Orts auf keinen Widerstand gestoßen.
    Also würde er wohl mitfahren können.
    Auch sollten die Schwestern außer dem Mädchen Lina, das zu ihrer Bedienung bestimmt wurde, noch René zur Verfügung haben, gewissermaßen als männlichen Schutz.
    Er würde sie schon schützen.
    René war ein trauriger Filou. Es fehlte ihm die Leichtigkeit, es fehlte ihm das Vergnügen an seinen eigenen Affären und Arrangements. Es fehlte ihm auch in allen Sachen das Vergnügen am Lügen. Er log, weil er sich's anders gar nicht vorstellen konnte, und weil's wohl auch anders gar nicht gehen mochte …
    Da waren einige in großen Abständen stehende hohe alte Lärchen, und wieder ein Bach, ein stärkerer. Etwas weiter oben, hinterm Tennisplatz, der Stauweiher.
    Er trat an die kleine Wasserfläche und sah hinein, aber nicht suchenden Auges. Sein Blick drang nicht unter die Oberfläche und bis zum schlammigen Grunde. Er sah den blauen Himmel gespiegelt und die Baumwipfel. Paß einen Schilfhalm ab, kaute daran und setzte sich auf einen Sandhaufen neben dem Teich. Die Geräusche und Stimmen vom Tennisplatz herüber faßte er jetzt nicht mehr auf. Sie waren in seine morose und zugleich seltsam vieldeutige Verfassung gänzlich eingegangen. Nicht aber ein knallweißer Fleck, der sich jetzt die Büsche entlang auf dem schmalen abfallenden Weglein vom Tennisplatz zum Teiche bewegte. Nun betrat Herr von Geyrenhoff auf der anderen Seite die nicht ganz meterbreite Staumauer, von deren Mitte der schwache Überfall des Wassers floß, und begann auf ihr zu gehen, Stangeler mit ›Servus‹ und Winken begrüßend. Der Gymnasiast hatte sich erhoben. Geyrenhoff lachte, gab ihm die Hand und ging gleich weiter, einige Schritte in den Wald hinein (denn aus diesem Grunde hatte er die nächste Umgebung des Tennisplatzes verlassen). Als er zurückkam, blieb er bei René stehen, der wieder auf seinem Sandhaufen saß. Den Schilfhalm hatte er weggeworfen. Dieser Geyrenhoff überrannte ihn nun gänzlich.
    Hier war wieder eine Welt für sich, und es schien die eigentlich erstrebenswerte zu sein, eine Welt von ganz augenscheinlicher, höchster und selbstverständlichster Geschlossenheit. Sie drang heran, sie rief, ja sie forderte, aber konnte René dahinein folgen, aus dem Zustande, in welchem er jetzt war? Er empfand die ganz außerordentliche Frische, die von dem jungen Manne ausging, der in bequemer Haltung vor ihm stand, die Hände in den Taschen der weiten crèmefarbenen Tennishose, die sich mit einem schmalen Gürtel von mattem Antilopenleder gegen das weiße Hemd absetzte. Er empfand vor allem auch einen Duft und zwar den rundlichen und reinlichen irgendwie komfortablen Duft von Eau de Lavende. Hinter alledem aber spürte René – mit einem bemerkenswert auf's Wesentliche gerichteten Instinkte, kann man wohl sagen – ein ungebrochenes Selbstbewußtsein, das freie Für-Sich-Stehen einer geordneten Person, die das alles, dieses So-Sein nämlich, wirklich verdiente und die Leichtigkeit als Belohnung noch dazu. Aber solcher Fülle des Anrufs und solcher bleierner Schwere des Nicht-Folgen-Könnens gegenüber entstand in René eine Art von Panik, welche ihn zunächst vor allem nötigte sich sofort in Deckung zu begeben, einen Wall zu errichten, diesen nach außenhin irgendwie reputabel zu beschriften, während dahinter ein wahrhaft nicht geringes Leid bohrte, eine wahrhaft nicht geringe Beängstigung verborgen sich staute.
    Er suchte also doch in die Form dessen sich zu fassen, der vor ihm stand, und fragte ganz leichthin und sachlich und als einer, der auf dem laufenden sich befindet, ob das Doppel mit Etelka und Grabmayr schon gespielt worden und wie es ausgefallen sei? Hier ist der Ort, an Herrn von Geyrenhoff (der damals, nach seiner eigenen Angabe, auf Renés Frage kaum geantwortet hat) eine gewisse Kritik zu üben. Geyrenhoff, zu jener Zeit Präsidialist im k. k. Finanzministerium, ist

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