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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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einem Sandhaufen saß René, der sich oft bei uns befand oder in der Nähe des Tennisplatzes unsere verflogenen Bälle suchte … Ich aber hatte das Gefühl, als träte ich durch eine unsichtbare Wand hier in einen gänzlich anderen Raum, als fiele eine Tür hinter mir zu und trennte mich nun von der eben verlassenen Gesellschaft. Das Bachbett war tief eingerissen, der Wald kam im Bogen, der Schlucht folgend, bis an den Tümpel herab. René bemerkte mich nicht. Er saß nicht sehr bequem und wie in einer zufällig eingenommenen Haltung aus Zerstreutheit gleichsam erstarrt; seitwärts blickend, an einem Grashalm kauend; sein Gesicht war düster oder zumindest unlustig, die etwas zusammengekniffenen Augen schienen schiefer darin zu stehen als sonst. Ich begriff plötzlich diesen Sommertag viel umfassender, begriff, wo ich war und unter was für dahinlebenden Menschen, als sänke ich darunter weg und wie Wurzelwerk unter's Gras in die Erde, während die hellen Figuren vom Tennisplatze hoch über mir und spielzeugartig auf dem sie zunächst umgebenden Stück Boden wie auf Fußbrettchen standen. Wie die schattige Unterwelt, von der alles ausgeht, und wo alles enden muß, erschien mir dieser Weiher unter den hohen Fichten und mit der kleinen BachSchlucht zwischen steilen Waldhängen dahinter. Das Antlitz Renés empfand ich als unhübsch, und deutlich wurde mir bewußt, wie sich darin die Brutalität mit der Weichheit und einem seltsam pappigen Stumpfsinn kreuzten. Aber er sah angestrengt aus diesem Gesicht wie jemand, der im Klimmzug über eine Mauer lugt. Er war völlig getrennt vom Tennisplatze und von allem hier überhaupt. Er enthielt aber zugleich in seiner üblen Verfassung und Beschaffenheit die ganze Familie in sich, wie in einer seltsam umgekehrten Vaterschaft. Ich ging über die etwa zwei Fuß breite Staumauer, und da bemerkte er mich, und alles war zu Ende und gefälscht von dem Augenblicke an, da er aufsah. Wie alle Stangelers zog er sich bei der Berührung anemonengleich in einem Krampf zusammen, der sich nicht mehr lösen konnte, bot ein Bild, das er unbedingt glaubte bieten zu müssen (hieran hatte in dieser Familie gewiß noch niemand mit einem wirklichen Zweifel gerührt, es lag das für jeden in sozusagen automatischer Gewißheit), und er bemühte sich mit viel Kraftaufwand, gleichsam von rückwärts in dieses Bild und seinen Rahmen hineinzusteigen und sich selbst und dem anderen die Überzeugung beizubringen oder auch aufzudrängen, er sei es wirklich. Zugleich fühlte ich, daß er mich beneidete (wie ich so daherkam vom Tennisplatze herüber, beiläufig, leichthin, in meinen hellen Kleidern, frisch vom Bad – ich war beim Spielen noch gar nicht an der Reihe gewesen), er beneidete mich jedoch in keinerlei böswilliger Weise, sondern aus seiner Verfassung schien er von vornherein geneigt, jeden anderen für vorbildlich zu halten, für vorbildlich zumindest was die Außenhaut betraf, die Form, in die einer gefaßt war, die ihm selbst sogleich als erstrebenswert erschien und die zu erstreben er vielleicht für möglich hielt, süchtig nach Form (so zeigt er sich ja heute noch), aber nicht gewillt den langen Umweg zu ihr zurückzulegen, den gerade er als einen sehr langen notwendig gehabt hätte … Ja, dies alles war mir in jenen Augenblicken damals am Stauweiher oberhalb der Villa Stangeler schon durchaus präsent, und hier lege ich es ausführlich auseinander, statt es dem Leser meiner Aufzeichnungen (falls es je einen solchen geben sollte) gleichsam mit einer einzigen Spritze in's Gemüt zu bringen, wozu eben meine Kunst nicht ausreicht. Er fragte mich gleich ganz sachlich etwas auf das Tennis-Spiel bezügliches, ob das Doppel mit Etelka und Grabmayr schon zu Ende und wie es ausgegangen sei, aber ich antwortete kaum, denn das war sozusagen eine reine Rahmenfrage (er hatte übrigens nie versucht das Tennis zu erlernen), die zusammenging mit einer Veränderung, welche er der Haltung seiner Gliedmaßen zu geben suchte, aber diese wurde keineswegs befreiter. Ich bemerkte mit Staunen – daß er schnupperte, daß er mich beroch, um schließlich ganz einfach, ja geradezu in einer anderen Sprache wie eben vorher zu sagen: ›Sie riechen gut.‹ Sein Gesicht sah jetzt wirklich hübsch aus. Nun, das gefiel mir außerordentlich – ich begann gewissermaßen in meinem Innern für ihn tiefere Hoffnung zu schöpfen, ich hatte einen aufatmenden spürbaren Anflug von Hoffnung für ihn und mochte ihn jetzt wirklich

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