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Die Strudlhofstiege

Die Strudlhofstiege

Titel: Die Strudlhofstiege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heimito von Doderer
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gerne, sagte ihm, was ich da für ein wohlriechendes Wasser benützte (heut' hab' ich noch das gleiche Lavendel, das ein sehr altes Wiener Geschäft herstellt). Ich beschloß sogleich, ihm eine große Flasche Lavendelwasser schicken zu lassen und hab' das auch getan, sogar am Montag-Morgen schon, auf dem Weg in's Ministerium; ich war eben erst vom Südbahnhofe gekommen, und da fiel's mir grad' ein. Ich war diesmal nur über Samstag und Sonntag auf der Villa gewesen, wie die meisten anderen auch – eine allwöchentliche Musterkarte aus allen Ministerien, Akademien, Hochschulen, ein Menschenkreis ohne jede Einheitlichkeit und in diesem Sinne dem Wesen der Familie doch tief entsprechend.«
    Nun gut. Was er über Stangelers sagt und auch über René, ist zutreffend, aber nur allgemein. Er hat die besondere Lage des Gymnasiasten in keiner Weise instinktiv gespürt: nämlich daß dieser rang, in einigermaßen distinkter Form sogar rang, und nach einem nicht nur so ganz dumpf gefühlten Ziele … Wie freilich sollte man dieses bezeichnen? War es die Einheit der Person, also eine Persons-Werdung und damit (wir wagen das zu sagen) eigentlich erst Menschwerdung, nach welcher ein junger Troglodyt aus seiner dumpfen Schlucht sich sehnte, wo alle Fähigkeiten oder Talente in schweren Fesseln liegen mußten? Aber ist das alles? Ist darunter nicht noch etwas? Und wenn dem so ist, dann müßte man es an's Licht zu ziehen versuchen, um es als Stangelers vorgestelltes Ziel zu benennen. Quälte er sich nicht eigentlich geradezu darum, unvergleichbare Erscheinungen, Zustände oder innere und äußere Örtlichkeiten unter die bannende Macht der Vergleichbarkeit zu zwingen, welche allein die Dinge bewältigen kann durch den reihenden Faden des Gedächtnisses, der ansonst immer von neuem zerstückt würde?! Um das Gedächtnis also ging es dem René, um die Erinnerung, so jung er war! Wie zitiert erschien jetzt einer am drüberen Ende der Staumauer, gleichfalls vom Tennisplatze her kommend (er war dem Herrn von Geyrenhoff nachgeschickt worden, um ihn zu holen, denn der spätere Chronist sollte bald ein Single spielen), einer, der mit Gedächtnis und Erinnerung und solchen Sachen gleichfalls zu tun hatte, in sich selbst herumwurmisierend, wenn auch nur gelegentlich.
    Aber bevor wir den Leutnant Melzer hier ganz kurz erscheinen lassen: noch kürzer, aber eben doch getan, ein weiterer Seitenblick auf Geyrenhoff! Das ist zu nett, wenn er schreibt: »Ich ging nach rechts weg, aus einem plötzlichen Antrieb, vielleicht dem Wunsche folgend, ein wenig allein zu sein.« Keineswegs gelogen, jedes Wort richtig, wenn auch nicht ganz wahr: der ›plötzliche Antrieb‹ und der ›Wunsch, ein wenig allein zu sein‹. Stimmt genau. Aber Geyrenhoff hebt eben alles und jedes auf eine geistigere Ebene. Zudem: wohlerzogen. Nicht so ungezogen wie etwa jener Kajetan …
    Als Geyrenhoff gegangen war, setzte sich Melzer neben René auf den Sandhaufen.
    Gerade in diesem Augenblick fiel es René ein oder es fiel ihm eigentlich auf, daß er Geyrenhoff nichts von der Begegnung mit der großen Schlange erzählt hatte: er bemerkte dieses sein eigenes Verhalten hintennach mit Erstaunen, ja als etwas Neues und Fremdes an sich selbst.
    Dann berichtete er die Sache Melzern.
    »Gelbe Backen?«, sagte dieser, »haben Sie die mit Sicherheit feststellen können? Ja? Dann war's schon eine. Ja, die werden so groß, die Ringelnattern, sehr selten, aber manchmal doch. War gescheit, daß Sie keinen Fangversuch gemacht haben, René.«
    »Warum?« fragte Stangeler gespannt.
    »Weil Sie das Vieh so leicht nicht mehr los geworden wären. Diese ganz großen Stücke schnüren immer und zwar gewaltig. Ist mir selbst einmal so gegangen. In Neulengbach. Sie hätten sich allein vielleicht gar nicht frei machen können. Dann hätten Sie zum Haus kommen müssen damit, und stellen Sie sich einmal das Geschrei von den Mädeln in der Küche vor! Alles wäre zusammengelaufen, ein Wirbel mit einem Wort, man hätt' den Gärtner geholt und am Ende vielleicht dem armen Vieh noch weh getan. Von Ihrem Papa ganz zu schweigen.« Melzer roch nach Sonnenschein.
    Seine Haut war tief gebräunt, besonders an den Armen, welche das Hemd großenteils frei ließ.
    Bei ihm waren auch die Hosen rein weiß, nicht cremefarben wie bei Geyrenhoff, sehr weit, in einer Art Seemanns-Schnitt, und der Gürtel aus weißem Leder. René bemerkte das alles.
    »Sehen Sie, Herr Melzer«, sagte er, »wie ich ihr dort in der

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