Die Stunde des Adlers (Thriller)
sie langsam den vierten Finger aus und genoss es, die Anspannung der Minister zu beobachten. Sie war im Zentrum der Macht, fixierte ihren eigenen Finanzminister.
»Wir brauchen«, Kuhn drehte sich zum Bundeskanzler, »eine Woche Vorlauf.« Blitzartig machte sie den kleinen Finger gerade und hielt dann die ganze Hand hoch. »Sie müssen heute entscheiden, dann ist kommenden Montag D-Day.«
Kuhns Hand drehte sich, der Arm glitt wie die Schneide einer Guillotine nach unten und rumste auf den Tisch. Anna-Maria Kuhn, die dem Kanzler direkt gegenübersaß, nahm ihn ins Visier.
»Wie hoch soll der Abschlag sein?« Auch das wusste Roth bereits, doch Kuhn sollte die Nachricht verbreiten.
»20 Prozent. Als Prämie für Deutschland.«
Die alten Minister starrten die junge Staatssekretärin an. Niemand wagte zu fragen, warum genau 20 Prozent. Bis auf Brunnenmacher. »Wieso 20 und nicht zehn oder 30?«
»Verehrter Herr Bundesfinanzminister«, antwortete Kuhn mit leichter Ironie, »das ist doch klar. Es ist ungefähr die Größenordnung, die die deutsche Staatsverschuldung durch den Euro nach oben geklettert ist, vor allem im ersten Jahrzehnt.«
»Ich denke, das ist für alle eine akzeptable Größe, zumal wir wieder Spielraum erhalten, um die eine oder andere Gruppe mit Steuererleichterungen oder anderen Leistungen zu bedienen.« Roth dachte dabei an das gestrige Gespräch über Marx und die Kirchen.
»Sehr richtig, Herr Bundeskanzler, wenn ich mir das erlauben darf.« Kuhn konnte nun nicht mehr viel tun. Die alten Männer des Kabinetts mussten entscheiden, alle gut gebrieft von den jeweiligen jungen Staatssekretären von Kuhns Gnaden. Wahrscheinlich war ihr parteiloser Finanzminister Brunnenmacher der am schlechtesten informierte Minister, aber das war auch egal, weil sie die Fäden in der Hand hielt.
»Danke, Frau Kuhn. Meine Herren, ich denke, das ist es, wofür wir gewählt worden sind. Ich bin dafür.«
»Sollte Frau Kuhn nicht jetzt den Raum verlassen?« Außenminister Ostermüller mochte Kuhn nicht dabeihaben, wenn er sich gegen diesen zu schnellen Schritt aussprach.
»Nein, ich denke, wir brauchen sie möglicherweise für Detailfragen, die Brunnenmacher nicht beantworten kann.« Wieder so ein Hieb des Kanzlers, der Kuhn ein fast unmerkliches Lächeln abrang.
»Wir können das doch nicht nur im Sicherheitskabinett beschließen, Herr Bundeskanzler!« Ostermüller, ein Kompromisskandidat, um die Mehrheit der DMP im Parlament abzusichern, war der Knackpunkt. Er sah die politische Dimension, die hier ohnehin niemand hören wollte. Also versuchte er es mit einer Formalie.
»Es gibt keine andere Möglichkeit. Wenn ich darauf antworten darf, Herr Bundeskanzler?« Kuhn lächelte Ostermüller dabei an.
»Bitte.«
»Wir müssen diesen geheimen Weg gehen, sonst schaden wir unserem Land. Kabinett und Parlament müssen hinterher beschließen. Wir haben ja schließlich kein Ermächtigungsgesetz, Herr Ostermüller.«
»Das wollen Sie hoffentlich nicht vergleichen.« Der Außenminister fühlte sich von Kuhn brüskiert.
»Ich vergleiche gar nichts. Aber das kann keine offene Diskussion sein. War es 1948 ja auch nicht. Da kam die D-Mark auch über Nacht.« Mit dem Hinweis auf das Wohl des Landes hatte sich Kuhn das Totschlagargument gesichert.
»Aber was ist, wenn unser Beschluss gekippt wird?«
»Wird er nicht, es sind doch unsere Volksvertreter. Und das Volk hat uns gewählt, Herr Ostermüller.« Kuhn spielte nervös an ihrem Haar und kräuselte eine Strähne auf, eine Marotte aus Kindertagen.
»Dann müssten wir das zurücknehmen, was wir zuvor geheim beschlossen haben, Frau Kuhn.«
»Deshalb die Parallelwährung, Herr Außenminister. Wir fahren zweigleisig.« Kuhn faltete nun die Hände wie eine brave höhere Tochter.
»Nur dass das de facto bedeutet, dass der Euro in Deutschland innerhalb von zwei Wochen passé sein dürfte.« Brunnenmacher sprang seinem Kabinettskollegen Ostermüller bei. Wie nicht anders zu erwarten, ging die Diskussion vor dieser historischen Entscheidung hin und her. Doch Kuhn und Roth ließen die Minister erst einmal gewähren, tauschten nur Blicke aus. Sie hatten die ganze Szenerie schließlich durchgesprochen.
Ostermüller brachte das Argument, dass Deutschlands Banken und Unternehmen zwei Billionen Euro Auslandsforderungen hätten. Und alle öffentlichen Forderungen im Eurosystem würde man verlieren, falls Deutschland den Vertrag verletzen würde. Kuhn setzte dem das »Detail« entgegen,
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