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Die Suche nach dem Regenbogen

Titel: Die Suche nach dem Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Sie winkte einen Lakai heran, damit er ihr beim Absteigen behilflich war und sie dem König feierlich huldigen konnte, doch er bedeutete ihr einzuhalten. Helle und durchtriebene Augen blickten in die dunklen, hungrigen Augen Ludwigs XII., und da wußte die junge Braut, daß er ihr verfallen war. Der große König war besiegt. Sie brauchte ihn nur noch festzuhalten. Lächelnd warf sie ihm vom Pferd aus eine Kußhand zu. Und der König trieb sein großes Roß dicht an sie heran, legte ihr die Arme um den Hals und küßte sie vor den Augen der berittenen Gesellschaft. Niemand konnte hören, was er sagte, aber sie lächelte und nickte, und dann redete wiederum er und lächelte. Darauf machte er kehrt und gab seiner Leibwache ein Zeichen, bei der Prinzessin zu bleiben. Die »Zufallsbegegnung« war vorüber. Der König hob die behandschuhte Hand, und auf dieses Zeichen hin kam Franz von Angoulême auf seinem großen kastanienbraunen Hengst zum weißen Zelter der Prinzessin. In diesem feierlichen Augenblick galten für den König nur Rang und höfische Hierarchie, daher fiel die Wahl als Begleiter seiner neuen Königin auf ihn. Und sorglos wie ein Kind, das mit dem Feuer spielt, stellte der alte König seiner jungen Braut für den Rest ihrer Reise den erfahrensten Verführer am ganzen Hof zur Seite. Er versammelte seine ältlichen Edelleute um sich und wandte das Pferd in die Richtung, aus der er gekommen war. Als die Hörner den Aufbruch des Königs und seiner Begleitung verkündeten, wandte sich Franz an Mary.
    »Die Reise dürfte lang und langweilig werden«, sagte sie und warf ihm unter gesenkten Wimpern einen Blick zu. Endlich einmal ein Franzose, der nicht zu kurz geraten war. Ein Franzose von Rang und in einem Alter, das ihre Jugend richtig zu würdigen wußte, auch wenn seine Nase zu lang und seine Augen ein wenig zu schmal und zu listig waren. Sie wußte Komplimente von einem Jüngeren und sichtlich Verzauberten zu schätzen. Vielleicht war es am Hof des alten Königs ja doch nicht so langweilig, wie sie gedacht hatte.
    »In Gegenwart einer solchen Schönheit kann die Reise gar nicht langweilig werden«, erwiderte Franz, doch sein Faunslächeln und sein vielsagender Blick gaben der beiläufigen Artigkeit etwas Zweideutiges. Wie lieblich, wie unendlich begehrenswert, dachte er. Hast du ihre Kußhand gesehen, merkst du, wie sie mit dir redet. Engländerinnen. Wild, ungesittet, unmoralisch. Eine geübte Verführerin. Und rothaarig. Neigt zu ungezügelter Wollust. Sobald die Hochzeit vorbei ist, wird sie einen Liebhaber brauchen, dachte er. Mit der Sorte kenne ich mich aus. Franz verspürte schon den Kitzel der Jagd: Heimlich Dienerinnen bestechen, auf den warnenden Pfiff der Wache am Fenster lauschen, durch Geheimgänge verschwinden, all das gehörte zur gestohlenen Lust im Bett eines anderen Mannes. Welch ein Triumph, die Frau eines anderen zu erobern. Und welch ungleich größerer Triumph, wenn sie eine Königin war.

Kapitel 16
    U nd ich sage Euch, wir kommen im Hochzeitszug gleich hinter der Königin.« Ich hörte Stampfen und Klirren. Wenn sie mit Sachen durch die Gegend werfen, bleibe ich besser draußen, dachte ich. Aber das ist der Haken, wenn man Dienstbote in einem vornehmen Haus ist. Man hat keine Wahl. Denn wenn ich wählen könnte, würde ich lieber keinen Stiefel an den Kopf bekommen, sondern mich mit Triefnase und Fieber zu Bett legen. Mein übliches Pech, daß ich bei meinem Botengang mitten in einen Streit geraten mußte.
    »Und ich sage Euch, nicht die Flötenspieler kommen zuerst, sondern die Trompeter. Schließlich sind wir vor ihr in die Stadt eingezogen.« Trompeter haben gewaltige Lungen. Ich nieste schon wieder in meinen Ärmel und hielt mir die Ohren zu. Dann atmete ich tief durch und betrat den Schlafraum der Musikanten, der zuvor ein Weinkeller gewesen war. Da sich die Besitzer mit Musikanten auskannten, hatten sie die Fässer ausgelagert.
    Man hatte der Prinzessin und ihrem großen Gefolge ein Haus gegeben, das von dem großen, häßlichen, alten Hôtel de la Gruthuse nur durch einen Garten getrennt war. Es war alles sehr beengt, denn außer den hochadligen Gästen hatte sie aus England fünfundsiebzig Edelleute und Männer von Stand mitgebracht, dazu fünfzig Haushaltsbeamte, darunter ihren Sekretär, ihren Kammerherrn, ihren Schatzmeister, ihren Almosenpfleger und ihren Arzt, sowie mehr als vierzig Damen und Edelfräulein als Gesellschafterinnen und obendrein Lady Guildford, die seit

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