Die Sünderin von Siena
einschloss.
»Wer hat mein Salz gestohlen?«, fragte Bartolo. »Und keine Märchen, sonst wirst du mich kennenlernen!«
»Woher soll ich das wissen? Da war ein Fremder, der
Leute aus dem Dorf brauchte, um eine Menge Fässer abzuladen. Jeder hier kann ein paar Lira zusätzlich gut gebrauchen. Und für mich fielen zum Schluss als Entgelt ein paar Säckchen ab.«
»Hatte dieser Fremde auch einen Namen?« Bartolo war aufgesprungen und packte den Wirt am Kragen. »Wie hieß er? Rede!«
»Lasst mich los, padrone !«, begann Letzterer zu winseln. »Woher soll ich das wissen? Ich bin nur ein einfacher Mann und hab Euch schon alles gesagt, was ich weiß.«
Bartolo ließ sich auf den Schemel fallen.
»Verzieh dich!«, sagte er müde. »Es reicht! Und dein Salz hier nehme ich mit, damit du nur Bescheid weißt.«
Atemlos hatte Mario die ganze Szene verfolgt.
»Ob er die Wahrheit gesagt hat?«, fragte er. »Angst hast du ihm jedenfalls gemacht, aber ob das gereicht hat?«
»Bestenfalls einen Teil der Wahrheit. Er schont seinen eigenen Buckel oder den eines anderen, dem er verpflichtet ist. Aber es ist mein exzellentes spanisches Salz, das er uns hier aufgetischt hat, und allein das ist mir schon Beweis genug.«
»Aber was hat Lupo danach mit deinem Salz gemacht? Wo kam es hin?«
»Genau das werde ich ihn fragen, sobald wir wieder in Siena sind.« Bartolos Stimme hatte plötzlich etwas Drohendes. »Und ich garantiere dir, mein Junge, er wird mir eine Antwort geben, wenn ich ihm das hier vor die Nase halte!«
Mario legte seinen Löffel beiseite. »Du hast schon recht gehabt mit dem, was du neulich über das Salz gesagt hast.« Er sprach so leise, dass Bartolo ihn kaum verstehen konnte. »Es kann die Menschen verrückt machen. Bei meinem Vater war es beinahe so. Aber ich habe sogar noch einen schlimmeren Fall erlebt.«
Es schien ihm schwerzufallen fortzufahren, und als er es schließlich tat, wirkte er noch bedrückter.
»In Augsburg, da gab es einen Mann, der war regelrecht süchtig nach Salz. Er musste es essen, verstehst du, in immer größeren Mengen. So lange, bis eines Tages etwas Schreckliches geschehen ist.« Der Junge starrte auf den Holztisch.
»Was war das?«, fragte Bartolo. »Erzähl es mir!«
»Er hat sich im Dachstuhl unseres Hauses aufgehängt. Weil wir doch genau gegenüber vom Salzstadel wohnen.« Mario schluckte, schien plötzlich mit den Tränen kämpfen zu müssen. »Mein … meine Schwester hat ihn gefunden. Danach hatte sie Angst, abends einzuschlafen, weil sie immer dachte, er käme des Nachts aus dem Speicher, um auch sie in das Totenreich zu holen. Wir haben uns eine ganze Weile ein Bett geteilt, und ich hab ihr versprechen müssen, auf sie aufzupassen, damit ihr nichts geschieht. Erst dann wurde es langsam besser.«
»Salz des Todes«, sagte Bartolo. »Anstatt Leben zu schenken, hat es diesem Unglücklichen den Tod gebracht. Was für eine traurige Geschichte!« Er zögerte, dann langte er quer über den Tisch und ergriff die Hand seines Großneffen. »Ich hasse es, wenn zwischen uns beiden nicht alles stimmt«, sagte er und ließ die Hand nicht mehr los. »Es macht mich ganz krank. In unserer Familie ist schon viel zu viel an Leid und Unglück geschehen. Aber ich hasse auch Lügen, von ganzem Herzen sogar. Keine soll je zwischen uns stehen, einverstanden?«
Mario starrte ihn schweigend an.
»Lass uns stets aufrichtig zueinander sein, denn wenn die Wahrheit manchmal auch schmerzt und brennt, so ist sie doch das Beste, was wir haben, meinst du nicht auch, mein Junge?«
Über Marios schmales Gesicht huschte ein flüchtiger Schatten. Dann jedoch schien er sich zu besinnen und begann so eifrig zu nicken, als wolle er gar nicht mehr damit aufhören.
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»Und sie haben dich einfach an der Schwelle überfallen? Ohne jegliche Vorwarnung? Unser Giovanni und ein anderer dieser … Engel?« Allein das Wort auszusprechen, schien für den korpulenten Domherrn die reinste Zumutung.
»Wie oft soll ich es noch wiederholen?« Savo Marconi versuchte vergeblich, auf dem hölzernen Stuhl eine bequemere Haltung einzunehmen. »Ich hörte Geräusche an der Türe, ergriff ein Messer, und dann standen die beiden plötzlich vor mir. Bevor ich noch richtig wusste, was hier vorging, hatten sie mir schon brutal den Knüppel übergezogen.« In schmerzlicher Erinnerung verzog er das Gesicht. »Seitdem brummt mir der Schädel, was immer ich auch dagegen unternehme«, fuhr er in leidendem Tonfall fort.
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