Die Sünderin von Siena
beschäftigt und spielte so hingebungsvoll mit ihrer Flickenpuppe, als sei sie allein auf der Welt.
Immer wieder glitt Gemmas Blick zu Angelina, und jedes Mal stritten sich dabei die widersprüchlichsten Gefühle in ihrer Brust. Das sollte Lupos Hurenkind sein? In dem rosigen Kindergesicht vermochte sie nicht einmal den Hauch einer Ähnlichkeit mit diesem Teufel zu entdecken. Aber vielleicht ähnelte sie ja auch ganz der Mutter. Angelina sah jedenfalls genauso aus wie viele kleine Mädchen in Siena und erinnerte Gemma mit den glatten, dunkelblonden Haaren, der runden Stirn und ihren meist fröhlich geschürzten Lippen eher an ihre Schwestern, als sie noch jünger gewesen waren.
Irgendwann hob die Kleine den Kopf, als könnte sie Gemmas Gedanken lesen, und sandte ihr einen langen Blick, dann jedoch fuhr sie erneut in ihrem Spiel fort.
»Aber was ist denn genau herausgekommen?«, wollte Gemma wissen, um die quälenden Überlegungen end lich wieder loszuwerden. »Werden sie nun nach dem schwarzen Mann suchen, von dem Cata gesprochen hat?«
»Woher soll ich das wissen? Dazu haben sie sich mir gegenüber nicht weiter geäußert. Aber der Rektor scheint mir zu glauben, und das ist schließlich das Wichtigste. ›Für mich spricht die Stimme Gottes aus diesem unschuldigen Kindermund‹ – mit diesem Machtwort hat Barna die anderen drei schließlich zum Schweigen gebracht. ›Dieses kleine Wesen wäre gar nicht imstande zu lügen, das kann jeder sehen, der Augen im Kopf hat, und deshalb befinden wir das, was es aussagt, als wahr und nehmen es ganz offiziell zu Protokoll.‹«
Mamma Linas Wangen wirkten eingefallen, unter ihren Augen lagen Schatten. Man sah ihrem blassen Gesicht die Anstrengungen an, die hinter ihr lagen.
»Zum Glück war keine Rede mehr davon, dass man mir die anderen Kinder wegnehmen will, wenngleich Celestina mindestens dreimal wiederholt hat, dass man weiterhin ein scharfes Auge auf dieses Haus haben müsse. Auch dein strenger Arrest ist aufgehoben. Du kannst wieder gehen, wohin du willst, aber das hast du ja offenbar bereits getan.«
Spielte sie schon wieder auf Matteo an? Gemma hatte kein Geheimnis daraus gemacht, dass sie gerade von ihm kam. Eigentlich hoffte sie, dass die Spannungen zwischen ihm und Lina endgültig der Vergangenheit angehörten. Wenn die Freundin nur ahnen könnte, welch immenses Risiko er auf sich genommen hatte, um Mauros Tod aufzuklären! Doch Gemma wollte weiterhin Schweigen darüber bewahren, um den Kreis der Mitwisser so klein wie möglich zu halten, das hatte sie dem Liebsten versprochen.
»Bleibst du jetzt für immer bei uns, Gemma Santini?« Wieder war es Lelio, der laut aussprach, was die anderen wohl nur zu denken wagten. »Bitte – du musst! Ich lasse dich einfach nicht mehr gehen.«
Gemma wandte sich ihm lächelnd zu. »Ich hab euch sehr lieb«, sagte sie. »Egal, wo ich gerade bin. Vergesst das niemals!« Und dich ganz besonders, fügte sie stumm hinzu. Das musst du doch spüren!
»Aber wirst du jetzt auch wieder bei uns wohnen?« Der Junge war zu schlau, um sich mit vagen Worten abspeisen zu lassen. »Ganz oben, unter dem Dach? So wie früher?«
Wieder musste Gemma zu Angelina schauen, und wieder erwiderte das Kind ihren Blick, als hätte es ihn bereits erwartet.
»Mal sehen«, sagte sie. »Warum geht ihr nicht alle zusammen draußen spielen? Ich habe noch etwas mit Mamma Lina zu bereden.«
»Lelio, du weißt, was du zu tun hast!«, rief Lina ihnen noch hinterher, da waren sie schon halb aus dem Zimmer gerannt. »Gut aufpassen!« Jetzt sah sie Gemma an, so durchdringend, dass dieser unbehaglich zumute wurde. »Wie bist du ihm überhaupt entkommen? Deine Nachricht klang so dringlich, dass mir angst und bange geworden ist. Da kann ich mir kaum vorstellen, dass er dich freiwillig gehen ließ.«
»Reines Glück.« So ähnlich hatte sie es auch schon Matteo erklärt. »Ein Moment der Unachtsamkeit, den ich zu meinen Gunsten nutzen konnte.« Etwas, das Gemma sich selber nicht näher erklären konnte, hielt sie davon ab, Leos überraschendes Auftauchen, vor allem aber seinen Freund zu erwähnen, den sie noch immer in ihren Kleidern verborgen hielt.
»Er wird doch Maßnahmen ergreifen«, sagte Lina, »und Anstalten machen, dich wieder zurückzuholen? Was glaubst du?«
»Das ist mehr als wahrscheinlich. In Lupos Augen bin ich sein Eigentum, und meine anhaltende Weigerung, mich entsprechend zu verhalten, wird seinen Zorn noch weiter anheizen. Deshalb möchte ich
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