Die Tallinn-Verschwörung - Thriller
flüsterten sie miteinander, waren aber zu weit weg, als dass Graziella etwas hätte verstehen können. Die Blicke, mit denen sie Besnik, aber auch Gianni und Bruno bedachten, bewiesen ihr, dass sie nicht viel von diesen Leuten hielten. Einer der beiden Deutschen war blond, und sein Gesicht erinnerte sie an Brad Pitt. Der andere war schon älter und wirkte wie ein ehemaliger Preisboxer. Graziella waren beide nicht sonderlich sympathisch, aber dennoch überlegte sie, ob sie diese Männer um Hilfe bitten sollte.
Besnik blickte auf seine Uhr und drängte zur Eile. Die Männer luden jetzt die Waffenkisten auf das Boot. Der blonde Deutsche streichelte eine der Kisten und sagte zu seinem Begleiter, dass ihm diese Ladung besser gefallen würde als das Zeug, das dieser Schwarzkopf aus Albanien gebracht hatte.
Bei dieser Bemerkung begriff Graziella, dass es sich bei den Leuten um deutsche Faschisten handeln musste – oder Neonazis, wie sie dort genannt wurden. Das versetzte ihrer Hoffnung auf Hilfe einen argen Dämpfer. Trotzdem war sie nicht bereit, so einfach aufzugeben. Ihr Deutsch war gut genug, um sich mit den Leuten verständigen zu können, und ewig würden Gianni und Lodovico sie nicht knebeln. Es galt nur, den richtigen Augenblick nicht zu versäumen.
ELF
N achdem das Boot beladen war, wurde Graziella in eine winzige Kabine gesperrt, ohne dass man ihr die Fesseln oder den Knebel abgenommen hätte. Sie lag auf einem Stapel Zeitschriften und Zeitungen in italienischer Sprache, die ebenfalls nach Albanien geschafft werden sollten. Bei der Erwähnung dieses Landes war es ihr kalt den Rücken hinuntergelaufen, und jetzt gaukelte ihr die Phantasie die schlimmsten Dinge vor, die ihr dort passieren konnten. Sie sah sich schon auf dem Balkan oder sogar im Vorderen Orient in einem Bordell und hätte ihre Angst am liebsten aus sich hinausgeschrien. Da Gianni das Licht angelassen hatte, wälzte sie sich herum und begann, die Titelseiten der Zeitungen und Zeitschriften zu überfliegen, um nicht weiter ihren quälenden Gedanken ausgeliefert zu sein. Einer der Packen schien das Parteiorgan der Fiumetti-Bewegung zu enthalten, denn das oberste Blatt strotzte vor markigen Sprüchen und prophezeite die baldige Wende im Sinne ihres Anführers. Des Weiteren war ein Stapel mit Zeitschriften dabei, mit denen Männer sich ungern in der Öffentlichkeit sehen ließen. Angewidert von den Pornobildern wandte Graziella sich der nächsten Zeitung zu. Es handelte sich um eines der üblichen Blättchen, die auch sie manchmal las. Eine der Überschriften ließ sie erstarren.
»Kardinal Giuseppe Antonio Monteleone im Kloster San Isidoro einem Herzschlag erlegen!«
Darunter stand zu lesen, dass Seine Heiligkeit in ihm eine große Stütze und einen wahren Kämpfer für den Glauben verloren habe und für seine Seele beten werde. Auch sei ein Staatsbegräbnis für den verstorbenen Kardinal vorgesehen.
Ihr Großonkel war tot! Trotz seiner Marotten und altmodischen
Ansichten hatte sie den alten Mann liebenswert gefunden und war gerne seine Hausdame und Sekretärin gewesen. Dieser Abschnitt ihres Lebens war nun unwiderruflich vorbei. Wenn es ihr wirklich gelingen sollte, ihren Entführern zu entkommen und nach Hause zurückzukehren, würde ihr der Palazzo des Kardinals kalt und leer erscheinen. Während ihre Tränen rannen, packte sie die Wut. Ihr Onkel war ermordet worden, und die Behörden sprachen von einem Herzschlag. Graziella dachte an Kardinal Rocchigiani, der einem Bergunfall zum Opfer gefallen sein sollte. Mit Sicherheit hatten Winters Gefolgsleute auch den alten Freund ihres Großonkels umgebracht. Es war höchst bedauerlich, dass Rocchigiani seinen Verdacht gegen Winter für sich behalten und nicht ihrem Großonkel mitgeteilt hatte. Gemeinsam hätten die beiden alten Herren diese machtgierige Kröte wohl stoppen können. So aber war es Winter gelungen, zum Kardinal ernannt zu werden, und er zählte nun zu den Männern, die den nächsten Papst wählen durften – und auch selbst dazu gemacht werden konnten.
Bei dem Gedanken überlief es Graziella kalt. War das Winters Plan? Dann würde die Kröte noch etliche aus dem Weg räumen müssen. Vor allem die Kardinäle aus Afrika oder Asien würden einen Mann, der sich mit Rassenfanatikern vom Schlage eines Fiumetti zusammentat, niemals an die Spitze der Christenheit wählen. Noch während sie darüber nachdachte, fiel Graziella ein, dass Winter sich niemals in der Öffentlichkeit mit
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