Die Teerose
Jalousie hoch und streckte den Kopf hinaus. Ein Junge hämmerte an die Tür.
»Was gibt’s denn?« fragte sie gereizt.
Er sah zu ihr hinauf. »Sind Sie Fiona Finnegan?«
»Ja. Was willst du denn?«
»Mann, bin ich froh, daß ich Sie gefunden hab, Miss! Können Sie runterkommen?«
»Erst wenn du mir sagst, worum es geht.«
»Es ist wichtig, Miss. Ich hab eine dringende Nachricht für Sie. Von einem Bekannten.«
55
U m acht Uhr morgens saß eine erschöpfte Fiona in einem Gerichtsgebäude im südlichen Manhattan auf einer harten Holzbank. Ihr Gesicht war vom Weinen verschwollen, ihre Kleider zerknittert von der Nacht, die sie in den Tombs, dem Stadtgefängnis auf Manhattans Centre Street, verbracht hatte. Neben ihr saßen ihr Anwalt Teddy Sissons, der den Kauf von Miss Nicholsons Haus abgewickelt hatte, und Stephen Ambrose, ein Strafverteidiger, den Teddy empfohlen hatte.
»Das kann doch nicht wahr sein«, sagte sie. »Ich wußte, daß er in Schwierigkeiten ist, als der Junge kam, aber ich dachte, es ginge um seine Gesundheit.«
»Es ist aber wahr«, antwortete Teddy. »Und er ist in ernsten Schwierigkeiten. Was zum Teufel hatte er im Slide zu suchen? Das ist doch eine üble Spelunke. Nicht mal in ihrer Nähe hätte er sich aufhalten sollen.«
»Das hat er aber nun mal getan!« erwiderte Fiona kurz angebunden. »Und er ist verhaftet worden, und Sie müssen ihn rausholen. Das müssen Sie einfach …« Ihre Stimme brach ab. Sie begann wieder zu weinen. »Ach, Teddy, tun Sie doch was! Was ist, wenn sie ihn im Gefängnis behalten?«
»Das wird aller Wahrscheinlichkeit nach nicht geschehen«, sagte Stephen Ambrose. »Solange er nur wegen eines Vergehens angeklagt wird, muß er vermutlich nur ein Bußgeld bezahlen.«
»Und wenn nicht?« fragte Fiona. »Kommt er dann ins Gefängnis?«
»Nein«, sagte Teddy grimmig und rieb sich die Augen hinter seiner Hornbrille. »Er ist Ausländer. Man weist ihn aus.«
Fiona weinte noch heftiger. Teddy gab ihr sein Taschentuch. Ambrose, ein gutgekleideter, gepflegter Mann, der einen Diamantring trug, sagte: »Das Dumme ist nur, daß der Richter, der heute den Vorsitz hat … Cameron Eames ist. Das ist ein knallharter Mann. Er hat eine Kampagne zur Säuberung der Stadt durchgeführt – Spielhöllen, Bordelle und Lokale wie das Slide geschlossen. Einer der Polizisten, mit denen ich gesprochen habe, behauptet, Eames habe die Razzia mit Hilfe von Malloy, dem Polizeichef, durchgeführt. Der geht gnadenlos gegen Straffällige vor. Und die Tatsache, daß er keine Kaution festgesetzt hat, ist kein gutes Omen.«
Fiona schloß die Augen und lehnte sich zurück. Es war ein Alptraum, aus dem sie aufwachen wollte, seit der Junge, den Nick letzte Nacht aus dem Gefängnis geschickt hatte, bei Michaels Haus aufgetaucht war. Sie war hingeeilt, in der Hoffnung, ihn herausholen, ihn wenigstens sehen zu können, aber der diensthabende Beamte hatte das nicht erlaubt. Anweisung vom Chef, hatte er gesagt.
Sie hoffte, daß es ihm gutging. Hoffte, daß er zu essen und zu trinken bekam und einen Schlafplatz hatte. Teddys Worte hallten in ihrem Kopf nach: »… er ist Ausländer. Man weist ihn aus.« Das wäre sein Ende. Er würde seine Galerie und alles, wofür er gearbeitet hatte, verlieren. Man würde ihn nach London abschieben. Zu seinem verhaßten Vater, der ihm gedroht hatte, ihm jegliche Unterstützung zu entziehen, falls er zurückkommen sollte. Er wäre vollkommen allein. Wie lange würde er das wohl überleben?
Sie spürte eine Hand auf ihrem Rücken. »Meine Teuerste! Was um alles in der Welt geht denn hier vor?« Sie schreckte zusammen. Es war Peter Hylton.
»Sagen Sie nichts«, zischte Teddy ihr ins Ohr.
»Ich hab gehört, Nick ist gestern abend verhaftet worden. Noch dazu im Slide! Auf üblen Abwegen, was?«
»Ich … ich weiß nicht, Peter … ich weiß nicht, was passiert ist. Es muß ein schreckliches Mißverständnis sein.« Wieder wurde sie von ihren Gefühlen überwältigt, und Tränen liefen ihr übers Gesicht.
»O je! Er ist’s, nicht wahr? Nick ist derjenige. Sehen Sie sich an, Sie haben sich ja förmlich die Augen ausgeweint. Keine Frau vergießt so viele Tränen wegen eines Mannes, den sie nicht liebt. Ich hab immer gewußt, daß McClane keine Chance hat.«
»Peter«, begann Fiona erschöpft. »Wir sind nicht …« Ein Stoß von Teddys Ellbogen brachte sie zum Schweigen. Sie drehte sich um.
Peter wußte nichts von ihrer Verlobung mit Will. Nur ihr
Weitere Kostenlose Bücher