Die Tiefe einer Seele
ihren Blick auf die Situation verändert. Sie dadurch vielleicht neue Perspektiven für sich erkennen kann. Was sie darüber hinaus braucht, Frau Johannson, ist Normalität. Zum Beispiel könnte das ein Vater sein, der keine Schlaftabletten mehr benötigt, um Ruhe zu finden, aber auch eine Mutter, die wieder beginnt, ihr eigenes Leben zu leben. Schreiben Sie wieder, Magda! Bitte! Tun Sie es für Amelie, aber tun Sie es in erster Linie für sich. Schreiben Sie sich den ganzen Kummer von der Seele, Sie werden sehen, es wird Ihnen helfen. Und Amelie wird überglücklich darüber sein, das weiß ich einfach.«
Magda nahm noch ein Schluck Wasser und lehnte sich dann kopfschüttelnd auf ihrem Stuhl zurück. »Sie sind ein sehr ungewöhnlicher Mann, James Prescott«, meinte sie halbwegs erstaunt, halbwegs bewundernd.
»Nein, das bin ich nicht«, wehrte James verlegen ab. »Ich bin ganz schlicht nur ein Mann, der sich verliebt hat. Und der seit vielen Jahren endlich wieder ein klares Ziel vor Augen hat. Und das ist das Glück Ihrer Tochter. Denn wenn sie glücklich ist, werde ich es auch sein können. Also? Überlegen Sie es sich?«
Magda zögerte keine Sekunde. »Nein, tu ich nicht! Brauche ich nämlich gar nicht mehr. Sie haben mich schon überzeugt, junger Mann. Irgendwie scheinen Sie etwas Magisches zu haben. Erst verzaubern Sie mein kleines Mädchen, dann auch noch mich. Vielleicht sollte ich den Rest der Familie warnen, bevor Sie uns alle in Ihren Bann ziehen. Das ist es doch! Möglicherweise schreibe ich ein Buch über Sie, James. Über Sie und Ihre merkwürdigen, dennoch sehr hoffnungsvollen Methoden, einer verzweifelten Familie neuen Rückhalt zu geben. Was meinen Sie, könnte das ein Bestseller werden?«
Der Amerikaner lachte laut auf. »Ich fürchte nicht, doch wenn Sie möchten, versuchen Sie es ruhig. Es wäre immerhin ein Anfang.«
Unvermittelt wurde er wieder ernst und griff nach den Händen von Amelies Mutter. »Magda, ich weiß nicht, ob ich wirklich neuen Rückhalt geben kann«, sagte er sanft. »Aber ich verspreche Ihnen, dass ich alles, was in meiner Macht steht, tun werde, damit es Amy bald besser geht, und sie ohne Angst in die Zukunft blicken kann.«
»Danke, James«, hauchte Magda ergriffen.
»Gern geschehen«, erwiderte er und schenkte ihr ein strahlendes Lächeln.
»Wie es aussieht, hat dieser Lump nicht nur das Herz meiner Tochter erobert, nun macht er sich auch noch an meine Frau heran, potztausend!«
Erschrocken ließ James Magdas Hände los, als er die empörte Stimme des Pastors im Hintergrund vernahm. Doch als er sich umdrehte, sah er das schelmische Grinsen des älteren Mannes, und er ahnte, dass Amelie und ihr manchmal etwas schräger Humor sehr viel mit genetischem Erbgut zu tun hatte.
»Jetzt hätte mein Bruder sich fast in Hemd gemacht!«, feixte auch Erin Prescott und prustete dann los. Lachend nahmen der Pastor und die Amerikanerin Platz, die ein wenig säuerliche Miene von James wohlweislich missachtend.
»Was ist denn nun?«, wollte Erin wissen. »Hat Amy sich schon gemeldet?«
James schüttelte mit dem Kopf. »Nein, hat sie noch nicht«, brummte er und griff nach seinem Smartphone. »Mir reicht es jetzt aber. Ich rufe sie an!« Doch bevor er die Kurzwahl drücken konnte, fing das Telefon in seinen Händen an zu singen. Ja, es sang! Was James sofort eine tiefe Schamesröte bescherte. Verdammt, dieses Lied hatte er auf dem Flug nach Deutschland aus purer Spielerei als Klingelton für Amy eingestellt.
Boooah, wie peinlich ist das denn jetzt? Das wird Erin mir noch in 100 Jahren aufs Butterbrot schmieren, Du gefühlsduseliger Idiot! Aber egal, nun ist erst mal etwas anderes wichtiger.
»Amy?«, meldete er sich atemlos.
»Na endlich! Ich dachte schon, Du würdest mal wieder nicht rangehen. Wäre ja nichts Neues.«
»Verdammt Amelie, ich hatte Dir doch erklärt….«
»Halllooooo James, reg Dich ab, das war ein Scherz.«
»Äääh, okay, aber mir ist im Moment echt nicht zu Scherzen zumute.«
»Na dann! Ich rufe auch nur an, um Dir zu sagen, dass ich Dein Angebot annehme. Es gilt doch noch?«
»Was ist denn das für eine bescheuerte Frage? Natürlich gilt es noch. Wir fahren sofort los und holen Dich ab. Danach geht es weiter nach Hamburg. Unser Flug nach Washington geht um 21:55 Uhr.«
»Wie bitte? Hast Du etwa schon Tickets gebucht? Du konntest doch gar nicht sicher sein, dass ich mitkomme.«
»Glaub mir, Amelie Johannson, zur Not hätte ich Dich an den Haaren
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