Die Tiefe einer Seele
dann auf der Tanzfläche in den Armen halten wird, wird er fallen wie eine morsche Eiche, was wollen wir wetten.«
Die rothaarige Schönheit zuckte mit den Schultern. Sie wollte ja gerne glauben, was ihr diese Verrückte da prophezeite, aber was, wenn er sie erneut zurückwies? Das würde sie nicht ertragen. Sie atmete tief durch. Es gab da noch etwas anderes, das ihr unter den Nägeln brannte.
»Was ist nun eigentlich mit Anabel?«
»Ha! Ich habe mich schon die ganze Zeit gefragt, wann Du dieses leidige Thema anschneiden wirst.«
»Ich schneide es jetzt an. Also? Ich höre.«
»Schätzchen, ich habe Dich wirklich lieb, doch manchmal bist Du so nervig wie ein republikanischer Präsidentschaftskandidat.«
»Fein! Und weiter?«
Erin schnaubte kurz wie ein Stier, der beabsichtigt, den Torero auf die Hörner zu nehmen, dann aber riss sie sich zusammen. »Du bekommst Deinen Willen, Du störrisches Weib!«, knurrte sie wenig damenhaft. »Wir werden uns alle in den nächsten Tagen mit ihr und ihrer Familie zusammensetzen, um die Ereignisse von vor sechs Jahren aufzuarbeiten. Vielleicht gelingt es uns ja wirklich, ein paar böse Geister zu vertreiben und in Zukunft zumindest einen Waffenstillstand zu wahren.«
»Ein Waffenstillstand? Nun, das ist zwar ein Anfang, aber auf Dauer muss da noch mehr kommen.«
»Gibst Du eigentlich niemals Ruhe, Amelie Johannson?«
»Du hast alle Möglichkeiten, das herauszufinden, Erin Prescott.«
Die beiden jungen Frauen zogen sich gegenseitig eine Grimasse und lachten dann synchron los. So laut, dass sie gar nicht mitbekamen, dass sie nicht mehr alleine waren.
James stand in der offenen Tür zu seinem Zimmer, nahezu erschlagen von der Wucht verschiedenartigster Gefühle, die ihn durchströmten. Er war hingerissen von der Verwandlung des frechen, burschikosen Mädchens in eine wunderschöne, umwerfende Frau. Geradewegs beseelt war er von ihrem glockenhellen Lachen, das sein Gehör sanft benetzte wie Tautropfen das Gras einer grünen Wiese. Dieses wundervolle Lachen, das er leider nur viel zu selten vernahm. Das Blut rauschte in seinen Adern, sein Herz in seiner Brust hämmerte wild für dieses engelhafte Geschöpf. Und seitdem er wusste, dass sie in dieser Nacht in seinem Bett schlafen würde, brachte seine ausufernde Erregung ihn nicht nur um den Verstand, sondern sie gab ihm auch die Gewissheit, dass er sich dem allen nicht länger verwehren konnte. Er wollte es auch gar nicht mehr, denn er liebte Amelie, und es war an der Zeit, diese Liebe auch zu leben. Doch das war nicht das Einzige, was ihn umtrieb. Eine schreckliche Angst durchwebte immer wieder seine romantischen Gefühle. Den ganzen Tag über hatte er den furchtbaren Traum nicht loswerden können, der ihm offenbart hatte, wohin der Weg auch würde führen können. Nämlich dann, wenn sie scheiterten. Wenn das Schicksal ihnen die schlechteren Karten in die Hand gab, und sie verlieren würden. Sich verlieren würden. Für James war dieser Gedanke nicht nur entsetzlich, sondern existentiell. Denn seit er Amelie gefunden hatte, wusste er, dass es sie wirklich gab, jene oft beschworene bessere Hälfte. Erst durch diese Frau war er ein Ganzes geworden und sicherlich auch ein besserer Mensch. Sie war die Luft, die er zum Atmen brauchte. Sie war seine Liebe, sie war sein Leben. Und wenn es den Mächten des Himmels wirklich gefallen würde, sie ihm zu nehmen, dann hätte auch sein irdisches Sein jeglichen Sinn verloren. Dann würde er, dann müsste er aufhören zu existieren. Wieder einmal ballte er seine Hände zur Faust und schwor sich, es niemals so weit kommen zu lassen. Er würde Amelie und ihr gemeinsames Glück verteidigen. Um jeden Preis! Selbst wenn er dafür einige seiner Prinzipien über Bord werden musste. Zum Beispiel, niemals zu lügen.
»James? Brauchst Du vielleicht meine ärztliche Hilfe? Du stehst da, als wenn Du etwas ausbrüten würdest? Ein Straußenei vielleicht? Hahahaha!« Erin kriegte sich gar nicht wieder ein, während ihr Bruder am liebsten davongerannt wäre. Er hatte nicht mitbekommen, dass die Damen ihn zwischenzeitlich bemerkt hatten, und er ihnen seine Qualen quasi auf dem silbernen Tablett serviert hatte. Nur, dass seine Schwester sie lediglich in eine Richtung zu deuten wusste. »Wenn Du jetzt auch noch anfängst zu hecheln, ist die Diagnose eindeutig«, verhöhnte sie ihn. »Landläufig würde man es eventuell als Hormonstau betiteln. Ich würde Dir gerne anraten, sofort etwas dagegen zu tun,
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